von David Wonschewski
Vorabfazit: 3 von 5 Sternen
Wow. Ein Roman, in dem nahezu durchgängig gesoffen, Drogen genommen und korpuliert wird. Und das Ganze in einer Taktung, die selbst good ol’ Bukowski einer Ohnmacht nahegebracht hätte. Chapeau, Herr Boyle!
Nun, so ganz einfach ist es denn natürlich nicht. Denn auch wenn diese eingangs getätigte Einschätzung durch nichts von der Hand zu weisen ist, ordnet der New Yorker Schriftsteller seinen Roman selbstredend – und passend zum Woodstock-Jubiläum – in einen historischen Kontext ein: LSD. FlowerPower. Hippietum.
Anfang der sechziger Jahre verschlägt es den Psychologen und angehenden Doktoranden Fitz mitsamt Frau und Sohn nach Harvard, wo er schnell in den Dunstkreis eines charismatischen Professors gerät: Timothy Leary. Leary hat es sich zum Ziel gemacht der verknöcherten Schulpsychologie seiner Kollegen neue Konzepte entgegenzusetzen, die in erster Linie auf der ausgiebigen Nutzung knapp 20 Jahre zuvor in Europa entwickelter halluzinogener Substanzen beruhen. Grenzerfahrung und Grenzüberschreitung im Dienste der Wissenschaft, gewissermaßen. Schnell bildet sich um Leary ein Zirkel junger Menschen, die sich samstags in seinem Haus einfinden, Jazzplatten auflegen, dieses und jenes kippen, dieses und jenes einwerfen. Um im Anschluss daran, mit wahlweise bergseegroßen oder auch stecknadelkopfkleinen Pupillen, nun: ganz ausgiebig dieses und jenes zu tun.
Auch Fitz ist fasziniert, seine Frau Joanie kriegt er nach und nach ebenfalls überzeugt. Und sein kleiner Sohn Corey, tja, der muss halt da irgendwie durch. Und mit.
“Sie waren weder reiche Müßiggänger noch reiche Arbeitstiere – sie waren überhaupt nicht reich. Sie waren Studenten und Frauen von Studenten. Sie waren es gewohnt, dass die Verhältnisse beengt waren, dass man die Miete jeden Monat aufs Neue zusammenkratzen musste und das Geld hinten und vorn nicht reichte. Und jetzt standen sie im ersten Stock eines Anwesens, das alles, was sie je gesehen hatten, in den Schatten stellte. Und solange sie hier waren, gehörte es ihnen, den Brüdern und Schwestern. Weiter wollte Joanie im Augenblick gar nicht denken.”
Es kommt was kommen muss: ihr Impresario Leary wird aus Harvard herauskomplimentiert und flieht mit seiner Entourage nach Mexiko, wo die Party, ähm, die wissenschaftliche Forschung weitergeht. Bevor die Behörden sie auch von dort verjagen und ein abgeschiedenes Anwesen nahe Manhattan das neue Domizil bildet.
“Das Licht” sagen wir es direkt, ist einer der schlechteren Romane von T.C. Boyle, seltsam eiernd, seltsam unfertig. Eine Art Roadmovie ohne Höhepunkte, kein Vergleich mit Großtaten wie “World’s End” (1987) oder “Hart auf Hart” (2015). Es ist jedoch gut möglich, dass Boyle nicht zuletzt durch diesen eiernden, unfertigen Charakter das transportieren möchte, was er selbst mit jener FlowerPower-Ära verbindet, was bei ihm in der Rückschau übriggeblieben ist aus jenen Tagen. Höhepunktarmut in einer nach permanenten Höhepunkten strebenden Gesellschaft.
Denn was er hier durchaus hervorragend illustriert ist das Versagen einer Vision. Einer Vision aus stetem Rausch und freier Liebe, die nicht nur an die Grenzen eines vermeintlichen Establishments stößt, sondern auch an die Grenzen fast eines jeden Individuums. Die elterliche Fürsorgepflicht, die Fitz und Joanie, dauerhigh und kommuneninfiziert als erstes sausen lassen, um sie unter einem Haufen egoistisch-hedonistischer Ausreden (von “alles für die Wissenschaft” bis “eliminieren spießbürgerlicher Konditionierungen”) zu verschütten. Der nicht mehr zu kittende Riss zwischen Joanie und Fitz, entstanden durch zu viele Sexualpartner in zu kurzer Zeit, schlussendlich fest- und plattgefahren durch zu viele schöne, leuchtende Bewusstseinszustände ohne den anderen. Und über all dem, wie Kleister, Learys unentwegtes Grinsen, seine unentwegte Lockerheit, seine unentwegt positive Ausstrahlung.
Freiheit, so wissen wir nicht erst seit Boyle, war schon immer eine Mogelpackung, bedeuted mieser als ihr exzellener Ruf. Und auf die Spitze getrieben gar: Zum Kotzen.
Was ebenfalls arg zu gefallen weiß an “Das Licht” ist Boyles beeindruckende Formulierungsvariabilität, wenn es darum geht die Auswirkungen von LSD, die lichternen Bewusstseinszustände zu beschreiben. Ob soetwas ohne persönliche Drogenerfahrung möglich ist, schwer vorstellbar. Aus Boyles Geburtsdatum und seinem noch immer etwas hippiesken Look auf heftige eigene Vorerfahrungen zu schließen wäre jedoch, das wäre, nunja. Irgendwas halt.
Für Popkulturenthusiasten hält “Das Licht” auch viele Namen parat, bei denen eine parallele Vertiefung sich lohnt, hat Boyle sein fiktives Geschehen doch unfassbar nah an realen Begebenheiten und Persönlichkeiten entlang platziert: Timothy Leary, Nena von Schlebrügge, Ken Babbs, Maynard Ferguson, Albert Hofmann – googlewikipedisiere und lerne.
Schrieb’s, kramte eine Coltrane-Platte aus dem Schrank, schielte kurz zur Gin-Flasche hinüber – und gab in einer Welt ohne Sternewertung rein fiktiv und hinhalluziniert: 3 von 5 Sternen.
Ein Musikjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.
Als Hörbuch kann ich mir das sogar fast noch besser vorstellen. Vorausgesetzt natürlich der Sprecher ist passend gewählt, klar.
Ich hatte das Buch als Hörbuch im Auto „inhaliert“… krass. Und wie Du schreibst: Schwer vorstellbar einen Drogenexzess in diesen Bildern zu schildern ohne dass man selbst drin eingetaucht ist. Gruß, Oliver 2.0