von David Wonschewski
Vorabfazit: 4 von 5 Sternen
In meiner Schulzeit gab es diesen Jungen, bei dem man nie so recht wusste, ob er nun wahnsinnig langsam im Denken ist oder aber einfach nur unsagbar tief hirnt – was den Denkprozess zwangsläufig verlängert. Stellte man ihm eine gar nicht einmal so komplexe Frage, so kam es regelmäßig vor, dass man seine Zeit auf eine Antwort zu warten hatte. Er setze stets sofort an zu einer Replik, strandete aber nach maximal fünf Worten, hielt inne, die Sekunden verstrichen wortlos, sein Zeigefinger ruhte auf seinen Lippen, die Pupillen wanderten gen Himmel, denkend kräuselte sich die Stirn. Dann setzte er wieder an, brach erneut ab, derweil die Jugend des auf eine simple Antwort Wartenden verstrich. Es war ein Graus. Dem nur mit dem prototypischen Pennälerklapps auf den Hinterkopf beizukommen war: Komm’ mal klaaar, Alter! Hallo, hallo, einer zuhause?!
Nein, dieser Junge war nicht ich. Ich wurde erst später zu einem ähnlichen Typus Mensch. Und keine Sorge, das wird nun keine Außenseitergeschichte, dafür sind wir zu viele. Was sich allein in der Literatur hervorragend zeigt, ist diese doch knüppelvoll mit zuvorderst Kerlen, die dazu neigen, ihren inneren Gedankenzirkus in Romanform zu pressen. Man erkennt die Vertreter dieses von mir als “Klapps auf den Hinterkopf”-Literatur betitelten Subgenres daran, dass sie zwar schreiben schreiben schreiben, dabei aber irgendwie nicht vom Fleck kommen. Das Buch 300 Seiten hat, man sich aber auch auf Seite 150 noch fragt, wann denn wohl die Geschichte endlich anfängt, dieser latent nervige um sich selbst zirkulierende Monolog endlich ein Ende nimmt. Und man erkennt sie auch an der häufig korrekten und zutreffenden Vermutung, dass sie beim Schreiben keinen vorgezeichneten Fahrplan, keine rudimentäre Skizze haben. Selbst keinen Schimmer haben, wohin das Ganze führen soll, was eigentlich die Grundaussage sein soll, nur den Weg als Ziel kennen. Ich selbst bin ein Vertreter dieser Gattung, schreibe gerade an einem Romanmanuskript, bei dem ich selbst ganz gespannt bin, wie das Hirngestochere wohl ausgehen wird. Und was der Autor mir damit sagen will.
Erzähle mir bitte keiner, der von mir mittlerweile in die Kategorie “Lieblingsschriftsteller” aufgestiegene Ungar László Krasznahorkai geht nicht so vor wie oben beschrieben, ist nicht von genau dem gleichen Schlag. Dafür sind seine Storys – so es denn welche sind und man sie großzügig so nennen will – zu wirr, zu holpernd, zu ausgeprägt undramaturgisch. Wie sie überhaupt, auch wenn oftmals mehrere Charaktere vorkommen, stets wie Ein-Personen-Stücke wirken. Was wohl dem benannten Gedankenzirkulieren des Autors geschuldet ist, das alles überlagert. Krasznahorkais Romane sind dabei immer Geschichten aus einem Gruselkabinett, zu Beginn in den 80er-Jahren noch hinter dem Eisernen Vorhang gelegen. Aber auch danach hellte sich bei ihm die Szenerie nicht auf. Der Mensch, so auch seine Grundaussage in “Krieg und Krieg” von 1999 ist in eine Düsternis und Aussichtslosigkeit geworfen, aus der es kein Entrinnen gibt.
Der Roman beginnt mit einer merkwürdigen Szene: Die Hauptfigur Korim, von der der Leser zunächst nichts weiß, wird auf einer Eisenbahnüberführung von sieben Kindern umzingelt und bedroht. Sie wollen Geld, aber der merkwürdige Mann hat kein Geld bei sich. Der Mann redet nur auf die Kinder ein, erzählt ihnen konfuse Geschichten, mit denen sie nichts anfangen können. Er redet sich die Angst vom Leib, er verspürt aber auch das Bedürfnis, sich erklären zu müssen, warum er plötzlich so an den Bahngleisen herumlungere. Also erzählt er den Kindern seine Vorgeschichte, als er noch Lokalhistoriker in einem Archiv in der Provinz war. Die verwahrloste Kinderbande ist gleichgültig gegenüber der Lebensgeschichte des ulkigen Mannes, sie will sein Geld, sonst nichts. Diese Anfangsepisode ist charakteristisch für den gesamten Roman: Immer trifft der ehemalige Archivar Korim auf Menschen, denen er seine Geschichte anvertrauen möchte, die er wider deren Willen vollquatscht, aber keiner schenkt ihm wirklich Aufmerksamkeit. Alle halten ihn – bestenfalls – für eine verschrobene Figur, die nicht ganz richtig im Kopf tickt. In endlosen Sätzen – manchmal über mehrere Seiten hinweg – erzählt Korim seine Geschichte und seine Erlebnisse; mal aus eigener Anschauung, mal aus der Perspektive der Leute, denen er begegnet und die seine Geschichte weitererzählen; wem, das bleibt oft unklar. Durch die überlangen Satzsequenzen erzeugt der Autor eine atemlose Spannung, auch dem Leser keine Ruhe zu gönnen. Er wird hineingezogen in ein Geschehen, dem er sich nicht mehr entziehen kann. Korim entdeckt eines Tages, daß das Leben nur Enttäuschungen bringe; er ist verbittert ´über den Zustand der Welt´. Also beschließt er, sein altes Leben aufzugeben und begibt sich auf eine ´große Reise´. Zuvor hat er all sein Hab und Gut verkauft, das Geld ist zur Sicherheit in den Mantel eingenäht. Aus der Provinz findet er den Weg nach Budapest, und von dort fliegt er nach New York, der Welt-Metropole, wo er sich das Leben nehmen will. Der verschrobene Mann zieht überall die Aufmerksamkeit auf sich, aber er merkt nicht, dass man ihn auffällig und bedrohlich findet, gerade weil er keinerlei Gewalttätigkeit an sich hat, sondern immer nur reden will, seine Geschichte erzählen möchte. Durch Verkettung verschiedener Umstände findet Korim in New York Unterschlupf bei einem Dolmetscher aus dem Ungarischen. Hier richtet er sich nun bescheiden ein, denn bevor er aus dem Leben scheidet, muss er noch eine wichtige Aufgabe vollbringen. Im Archiv der ungarischen Provinzstadt hatte Korim in einer Akte ein Manuskript-Konvolut gefunden, das offensichtlich nicht in die Akte gehörte. Es ist ein Roman, den Korim zu lesen beginnt, der ihn immer mehr fesselt und nicht mehr loslässt. Dieses Manuskript ist sein einziges Reisegepäck. Er will es der Nachwelt überliefern, denn dann hätten sein Leben und sein Tod einen Sinn. Korim besorgt sich einen Computer und schreibt den Roman ins Internet, um, wie er es ausdrückt, ´sich in die Ewigkeit hineinzuschreiben´.
Das klingt so heruntergeschrieben und zusammengefasst, nach einer durchaus veritablen Handlung, Krasznahorkai ist aber Krasznahorkai, will heißen: Er torpediert den aufkommenden Lesefluss nach Kräften. Die vielen kleinen Kapitel des Buches sind in der Regel ein einziger, oftmals entsprechend ewig langer Satz, was je nach Leseneigung auch mehr enervierend als denn spannend sein kann, zumal sich viele Gedankengänge nicht so recht erschließen wollen. Zudem unterbricht der Autor die eigentliche Handlung mit Freude immer wieder mit der Handlung des Romans, vermengt und vermischt beide Ebenen mitunter brutal und macht das auch nicht immer klar deutlich. Wie dieser gefundene Roman als solcher seine angebliche Klasse nicht preisgibt, für sich eine ungeheure Zurschaustellung von Unlogik ist, die in der nicht minder unlogischen Hauptgeschichte um den Archivar Korim ihren fragwürdigen Anknüpfungspunkt findet.
Schaut man sich an wie “Krieg und Krieg” allgemein aufgenommen wurde, so kann man es einen größeren literarischen Wurf nennen. Man kann sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass das Buch in seiner plakativen Sperrigkeit in der Masse nur bedingt Anklang finden kann. Mir selbst in Krasznahorkai mit seinem Stil nah genug, um mich tierisch an der puren Existenz solcher Bücher zu erfreuen. Solange so etwas noch von großen Verlagen publiziert wird, ist die von Krasznahorkai so hervorragend ins Licht gestellte düster-kaputte und chaotische Welt noch in Ordnung.
Ob es helfen würde Typen wie Krasznahorkai, seinem Korim und ähnlich ausartenden Konsorten einen deftigen Klapps auf den Hinterkopf zu verabreichen? Hm. Kommt immer drauf an wie man Hilfe definiert. Und was sich die oder der Hinterkopfklappsende subejktiv als Ergebnis wünscht.
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Ich habe versucht, Krasznahorkai auf ungarisch zu lesen. Der erste Satz des Romans ging über zwei-drei Seiten. Dreimal bin ich bisher daran gescheitert. Aber: “Über sieben Brücken musst du gehn…”