von David Wonschewski
Vorabfazit: 3 von 5 Sternen
Das ist für sich schon eine faszinierende Überlegung – warum manche Klassiker des Science-Fiction-Genres auch viele Jahrzehnte nach ihrer Veröffentlichung nichts von ihrer Faszination verloren haben, derweil andere nicht minder gut geschriebene Werke, mitunter gar vom gleichen Autor einfach nur albenr wirken, bestenfalls über die Trashschiene noch eine Prise kultigen Sternenstaub einheimsen. “Die Insel des Dr. Moreau” von niemand Geringerem als SciFi-Impulsgeber H.G. Wells ist so ein Buch, das, wie es sich für einen guten Genreroman gehört, allerhand philopsophische, naturwissenschaftliche und nicht zuletzt auch ethisch-moraltheoretische Fragen aufwirft, diese gekonnt an-, oftmals gar durchdiskutiert – und uns doch mit einem penetranten Gefühl von altbacken zurücklässt. Liegt das an Wells? Am Grundthema? Weder noch. Es liegt schlichtweg daran, dass wir, wenig überraschend, nicht mehr 1896 haben. Gesellschaftliche Themen nun aber, Mode- und Trendwellen gar nicht so unähnlich, in Intervallen über uns schwappen. Wie die Gezeiten sind, kommen und gehen und kommen und gehen. Was diese “Insel des Dr. Moreau” betrifft ist offensichtlich aktuell ziemlich Ebbe angesagt.
Zum Inhalt: Der junge, schiffbrüchige Engländer Prendick gelangt durch Zufall auf eine abgelegene Pazifikinsel, auf der der Wissenschaftler Moreau gemeinsam mit seinem Assistenten Montgomery ungewöhnliche Experimente durchführt. Mittels Vivisektionen und Gehirnmanipulationen erschafft Moreau groteske menschenähnliche Wesen aus Tieren und erlegt ihnen einen Gebotskatalog auf. Moreau erhebt sich somit zum Herren über seine Geschöpfe, was dazu führt, dass er seiner Hybris verfällt. Prendick, der die Sinnlosigkeit und Grausamkeit der Vorgänge erkennt, stellt sich dem Wissenschaftler entgegen. Die bizarre gesellschaftliche Ordnung auf der Insel wird durch Prendick in solchem Ausmaß gestört, dass ein unaufhaltsamer Prozess des Niedergangs ausgelöst wird, der schließlich in der Ermordung Moreaus und Montgomerys gipfelt.
Schnell erkennen wir, warum der Roman dem Leser als ein wenig altbacken, ein wenig verkitscht entgegentritt. Da ist der Schiffbrüchige, da ist die einsame Insel, von der man nicht so einfach weg kommt. Und da ist auch der verrückte Professor, der im zivilen England aufgrund seines fragwürdigen Forscherdrangs zum Verstoßenen wurde und nun auf dem isolierten Eiland seinen Passionen frönt. Allesamt Motive, die in den letzten Jahrzehnten – wohlgemerkt nach Wells – literarisch derart oft durchgekaut wurden, dass man sie mittlerweile keine Sekunde mehr im Mund haben mag. Doch da ist auch das Hauptthema, die wissenschaftliche Idee, Tieren mittels dubios-grausamer Operationen mehr und mehr Menschlichkeit angedeihen zu lassen, sie zunächst zu Viertel-, dann zu Halbmenschen werden zu lassen mit einer künftigen Option auf mehr. Auch hier ist man als Leser zunächst wenig gewillt, dem Stoff zu folgen, was mit Sicherheit daran liegt, dass das Sujet “Tierversuche” angesichts diverser anderer Naturschutzherausforderungen vor über zwanzig Jahren ordentlich ins Hintertreffen geraten ist, derweil es beispielsweise in den späten 80er-Jahren noch eines der Aufregerthemen war. Auch sind viele Aspekte rund um den Sinn und Unsinn von Genmanipulationen zwar weiterhin viel diskutiert, letztlich nun einmal aber längst vollzogen worden und das, je nach Sichtweise selbstverständlich, nicht immer nur mit negativem Output.
Exakt hier aber wird “Die Insel des Dr. Moreau” interessant, bringt Wells zwischen all dem, was uns heute als etwas abgestanden entgegentritt, doch wie eh und je die entscheidenden Fragen unter. Im Jahr 1896 hochbrisant, revolutionär, nicht selten blasphemisch, 120 Jahre später zumindest einmal nicht grundlos weiterhin unbeantwortet. Wie verrückt beispielsweise ist ein Professor, der mit seinen wahnsinnigen Methoden dafür sorgen will, das Tier unter der Knute des Menschen hervorzuholen? Mit eingepreist, klar, dass sich das Tier mit ansteigender Intelligenz gegen den Menschen wenden wird. Liest man “Die Insel des Dr. Moreau” unter dieser Fragestellung, so ist man schnell bei einer moderneren, durchaus angesagteren Vergleichthematik. Und zwar der um Computer und Algorithmen, die wir weiter und immer weiter anfüttern, denen wir mehr und immer mehr Macht, letztlich Kontrolle über uns ermöglichen, freiwillig, weil es eine große Übereinkunft zu geben scheint, dass Computer, sobald sie menschlich zu Denken gelernt haben, die besseren Menschen sein werden.
Dass Wells in seinem Roman letztlich nichts anderes durchexerziert, nur halt mit Tieren, macht den Roman, verborgen unter all dem “Trash” so prophetisch, so dystopisch wie seine legendäreren Werke.
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