Emden war der Plan. Einer der wenigen Vorteile der Pandemie ist der, dass man – hat man nur ein paar wenige Tage frei – verstärkt Reiseziele in der näheren Umgebung anvisiert. Orte, an und in die man ohne Pandemie vermutlich nicht gefahren wäre, die man sein ganzes Leben nicht gesehen hätte. Emden eben. Der Nachteil an der Pandemie ist allerdings der, dass man auch im eigenen Dunstkreis unsagbar daneben hauen kann. Drei Tage bevor es losgehen sollte, schaffte es Emden in die Schlagzeilen – als quasi einziger Ort, der mitten im allgemeinen Corona-Abschwung deutschlandweit mit einer sprunghaft gestiegenen Inzidenz von weit über 100 aufwarten konnte. Dollebolle, zwangsstorniert.
So kam ich denn also mal nach Bremerhaven stattdessen. Inzidenz niedrig genug und als Reiseziel ungerechterweise noch immer unangesagt genug, um auch spontan noch eine Unterkunft zu finden. Bremerhaven ist insofern eine faszinierende Stadt, da es ein Ort ist, der in vielerlei Hinsicht als problematisch gilt, völlig im Eimer, ziemlich am A. Ich spare mir mal die Gründe, es bringt gemeinhin wenig auf Klischees herumzureiten, die zunehmend der Vergangenheit angehören wollen. Seit einigen Jahren vollbringt Bremerhaven einen fulminanten Reputationskraftakt, der sich an einigen ausgewählten Stellen bereits ganz gut beobachten lässt. An anderen weniger. Eine interessante Diskrepanz wird im Bremerhaven so offenbar wie vielleicht nirgends sonst in Deutschland. Ein Touristenort, der eigentlich keiner ist, gerne aber einer wäre und doch eigentlich auch alle Anlagen dazu hätte. Es aber noch nicht so ganz schafft. Eine Strandpromenade, die attraktiver kaum denkbar ist – und keine 250 Meter weiter eine Innenstadt die, nun, noch immer ziemlich heftig Bremerhaven ist. Mir persönlich behagt dieser Gegensatz, wenn er derart ungebremst auch optisch aufeinanderklatscht. Zumal Schönheit ab einem gewissen Alter – ist zumindest meine Erfahrung – eh nicht mehr mittels pittoresker Postkartenmotive zu belegen ist. Schönheit ist nicht Äußerlichkeit, es ist auch nicht die so oft und gerne propagierte Innerlichkeit. Schönheit ist ein Eindruck, dem es gelingt nicht binnen weniger Minuten, Stunden oder Tage als austauschbare Beliebigkeit zu verwehen. Schönheit ist ein kaum zu definierender Eindruck, der gekommen ist, um zu bleiben. So gesehen ist Bremerhaven ziemlich schön.
Neben Stadtbetrachtungen bin ich nur ein wenig zum Lesen gekommen, aber immerhin. Der brandneue Roman “Die nicht sterben” von Dana Grigorcea ist gerade dran. Ein, tja, postkommunistischer Vampirroman, spielt in Rumänien. Eine reichlich krude Themenmischung bahnt sich hier ihren Weg, wäre mir das Buch nicht mehrfach empfohlen worden, von selbst hätte ich es vermutlich nicht gelesen. Ich bin sehr für postkommunistische Themen, aber das einst so edle Vampirssujet wurde mir vor diversen Jahren zu sehr ver-teenie-popt. 50 Seiten habe ich gelesen – was der Roman zu bieten hat, werde ich im Anschluss mit der Schriftstellerin Nikoletta Kiss erörtern. In einer neuen Folge unserer gemeinsamen literarischen Diskursreihe “Tanz auf Buchrücken” (mehr Informationen: HIER).
Als Bremerhaven nach anderthalb Tagen durchgestromert war, ging es nach Cuxhaven. Das war aber mal so richtig nett. Ist aber eine andere Geschichte.
Viele Grüße,
David