David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Live aus der manisch-depressiven Klappse toxischer Beziehungen. Oder: Sie küssten und sie schlugen sich.

von David Wonschewski

Kennen Sie diese Art von Traum, die man ab und an hat und die dermaßen wunderschön und geleckt daherkommt, dass man sich unversehens in einer Dystopie wiederfindet? Oder um es ein wenig kultureller auszudrücken: man startet frohgemut ein mit Martin Luther Kings Vision von einer schönen neuen Welt, strandet dann aber eben bei Aldous Huxley. So ging es mir vor einigen Monaten, denn ich träumte von einer Welt, in der nur noch mental gesunde Menschen andere mental gesunde Menschen daten, ehelichen, gemeinsam Nachwuchs zeugen. Sie wissen schon, Frauen, die sich (gähn, Datingprofildauerbrennersatz seit 1925) einen Mann wünschen, der “mit beiden Beinen im Leben steht” und genau so einen Langweiler dann auch kriegen (Montezumas Rache gewissermaßen, ha). Und Männer, die beidbeinig in die Familienplanung steigen und eben nicht später (einbeinig, wenn überhaupt) aus selbiger zu flüchten versuchen. Sympathisch und friedfertig ist er auch noch, der mit beiden Beinen fest im Leben stehende Mann, ganz knospig gerät ihr das Gesicht vor lauter Nestbau, topmodern nachhaltig das Ganze sowieso, dementsprechend geraten dann, laut meinem Traum, auch die Kinder der beiden. Dass jeder Schritt hin zur Erfüllung unserer Sehnsüchte auch immer ein Schritt zurück in den Mief der 50er ist, irgendwie, interessierte meinen Traum nicht. Dieses Wissen hat mein waches Ich exklusiv.

Oh, ja, seine zwei bis drei Minuten hatte dieser Traum jenen diskreten Charme der Bourgeoise. Wer es nicht so mit Buñuel hat, kann sich auch beim gloriosen Gespann Irm Hermann/Hans-Peter Korff in Loriots Pappa ante portas von 1991 bedienen, Sie erinnern sich, jenes Tante-Onkel-Paar, das so gerne heiter war und nur gemeinsam lachte, nie übereinander.

Da jedoch nichts so wenig auf Dauer zu ertragen ist, wie zur Schau gestellte Harmonie begann ich intuitiv, diese Traumidylle zersetzende Elemente einzubauen. Literatenkrankheit, sogar im Traum agiert man dramaturgisch. Einen uniformierten Menscheneinsammeldienst beispielsweise, der alle Narzissten, Egomanen, Schizophrene und bipolaren Kerle, dazu alle traumatisierten und borderlinernden, auch cholerischen und krankhaft eifersüchtigen Frauen, alle Tablettensüchtigen und Alkolholkranken in Gewahrsam nimmt, das ganze Kopfgesocks ordentlich aus den Diskotheken kawummst und von den Datingplattformen eliminiert, auf dass auf ewig Schluss ist mit Geschrei und Gezänk unter alemannischen Dächern, auch Trennungen nur noch zügig, angenehm und wohl distinguiert ablaufen, die Ex hernach nur gut über den Ex spricht, der Ex die Ex wiederum gerne auf einen Tee einlädt, derweil die neue Frau dieses Ex, ach, ach, gemeinsam mit der Ex einen Strickkurs besucht. Oder was immer sich behaglich und wohlgeordnet gebende Frauen ohne mentale Schieflagen gemeinsam so machen oder machen könnten. Außer stricken. Ich weiß es nicht, ich kenne keine. Was mich zu einem sehr privilegierten Menschen macht, wie ich gerne eingestehe.

Als in meinem Traum dann die Sehnsucht erwachte, der Menscheneinsammeldienst möge auch widerrechtlich verschleppen und Foltermethoden anwenden, ahnte ich, was ich längst wusste: Dass die schönsten Dinge sich bei näherer Betrachtung oftmals als die besonders hässlichen herausstellen. Derweil Hässlichkeit einen Reiz in sich trägt, der nie vergeht, während nichts so öde und vergänglich ist wie Schönheit. Ich stoppte also, noch immer in tiefstem Schlafe, diesen Traum, er war mir überraschend schnell zu farb- und geschmacklos geworden. Reinhard Mey hat mal ein sehr gutes Lied darüber gemacht, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn alle seine Wünsche von einer guten Fee zu Realität gemacht worden wären (“Danke, liebe gute Fee”). Sein Fazit ebenfalls: Traue deinen Sehnsüchten nicht, sie sind des Menschen miesester Hirte.

Der geneigte Leser merkt es bereits: Während meine ersten drei Romane – “Schwarzer Frost” / “Zerteiltes Leid” / “Blaues Blut” – eine Trilogie darstellen, die unter dem inoffiziellen Sammeltitel “Live aus der manisch-depressiven Klappse” stand, arbeite ich mittlerweile am zweiten Romanzyklus. Falls sich jemand fragt, aus welchem Jahrzehnt ich denn stamme, dass ich so altbacken-überkandidelte Begriffe wie Trilogie oder Romanzyklus nutze, oder ob ich vielleicht einfach nur zu lange die SPEX gelesen habe, bevor sie an ihrer eigenen Eitelkeit zugrunde ging – ehm, ja, auch. De facto erkennt man an solchen Begriffen aber stets den gar nicht einmal so gut verkaufenden Künstler, der, wenn schon kommerziell nicht erfolgreich auf verbalem Wege versucht, seinem Tun einen erhabenen Sinn zu verleihen. Deswegen nenne ich mich auch lieber Novellist als Autor, erstes klingt nach Nouvelle Vague, zweiteres nach Autoverkäufer.

Das neue, ehm, literarische Triumvirat – ach, was sage ich denn: Pantheon! – jedenfalls behandelt toxische Beziehungen. Der inoffizielle Sammeltitel diesmal: “Sie küssten und sie schlugen sich.” Der erste Roman “Franziska. Einladung zum Totschlag” ist bereits fertig und wird wohl Anfang 2024 erscheinen. Für den zweiten Roman begebe ich mich dieser Tage in eine zweimonatige Schreibklausur, die Koffer sind bereits gepackt, so kreativ weg und untergetaucht war ich noch nie. Eremitenhütte im Wald, ich komme. Literatenvilla an den Gestaden eines Schweizer Sees, ich komme. Maharishi Mahesh Yogi, meine harrison’sche Sitar im Anschlag, ich komme.

Im Gepäck auch: die besten aus ungemein toxischen oder ultimativ kaputten, sich dennoch eeewig hinziehenden Beziehungen entstandenen Kulturknaller. Siehe Foto. Nicht im Bild: das letzte ABBA-Album “The Visitors” (1982), “Rumours” von Fleetwood Mac (1977), Richard und Linda Thompson – “Shoot Out The Lights” (1982). Hassliebekunst auf euphorisierendem Spitzenniveau halt.

Buchverlosung: Bevor ich temporär von dannen schwirre, um neue Wunderwerke zu vollbringen, muss ich erstmal die alten an die Frau und den Mann bringen. Verdammt. Darum verlose ich unter allen, die mir eine Privatnachricht da lassen jeweils ein Exemplar meiner bisher erschienen Romane “Schwarzer Frost”, “Zerteiltes Leid”, “Blaues Blut”. Nachricht hinterlassen kann man: HIER. Drinstehen sollte bestenfalls die Postadresse und welcher Roman es sein darf. Quizfrage gibt es auch: Hier im Blogtext erwähne ich ein ABBA-Album von 1982. Nennt mir einen Song von dem Album und sagt, wer euer Lieblings-ABBA-Mitglied ist. Ja, das sind zwei relativ grenzdebile Fragen, aber das sind meine Romane ja auch, passt also. Viel Erfolg!

Zum Romanzyklus “Live aus der manisch-depressiven Klappse” HIER.

Ein Kommentar zu “Live aus der manisch-depressiven Klappse toxischer Beziehungen. Oder: Sie küssten und sie schlugen sich.

  1. lyriost
    6. Mai 2023

    Vergiß nicht: Im Wald, da sind die Räuber. Dann wird’s ein Kriminalroman – oder gar ein Thriller …😫

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