David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Des Nachts.

Diese Nacht ist es passiert. Es war abzusehen, dass es geschehen würde, tagsüber war ich regelrecht vorbereitet darauf, dass es mich eines Nachts überfallen würde, morgen, übermorgen, bald. Und doch wachte ich heute Morgen schweißgebadet auf, denn obschon ich ihn geahnt hatte, hatte ich ihn zugleich nicht kommen sehen. Diesen längst überfälligen Überfall von einem Traum.

In diesem Traum ging ich durch die Innenstadt von Münster, ich spazierte, schlenderte, war nicht unbedingt guter, auch nicht schlechter, war einfach keinerlei Dinge. Wohl war mir. Doch schnell bemerkte ich eine öffentliche Abscheu um mich herum, einen generellen Widerwillen, einen moralingesäuerten Ekel, all das mich betreffend. Leute gingen mir aus dem Weg, wechselten wegen mir die Straßenseite, duckten sich vor mir ab. Ich versuchte es nicht mit meiner Person in Verbindung zu bringen, versuchte mich an all dem, was mir in meinen Therapien beigebracht worden ist, nämlich dass sich die Welt zwar durchaus um Egoisten und Narzissten dreht, nie jedoch um Leute mit Komplexen, Traumata und Ängsten. Nichts so widersinnig ist wie der Glaube des kleinen Lichts, alle würden sich um einen scheren. Einen Grund, mich derart gemeinschaftlich zu meiden, den gibt es nicht, so sehr ich es mir auch einbilde, mich darauf versteife, in ganz schlimmen Phasen sogar mein Recht darauf einfordere. Also spazierte ich in diesem Traum durch Münster, versuchte das Meiden der anderen zu ignorieren. Doch es misslang, zu eindeutig waren die Zeichen, dass man mich nicht wollte in der Innenstadt von Münster, niemand in meiner Nähe sein mochte, ja nicht einmal in meiner Nähe von anderen Passanten gesehen werden wollte. Ich weiß noch, wie mir in diesem Traum das Herz schneller schlug, der Schweiß auf die Stirn trat, der Druck in der Brust zunahm, ja überhaupt der Kafka in mir erwachte. Mein Spazieren ging in ein übereiltes Stolpern über, ich hinkhumpelte mehr durch Münster, als ich denn schritt. Und es war kein Entkommen, kein Hinauskommen aus dieser elend klaustrophobischen Stadt. An welcher Ecke ich auch auftauchte, die murmelnden Schatten waren bereits da, das geflüsterte Spötteln, das gehässige Zeigen auf mich.

Wie lange es derart ging, ich vermag es nicht zu sagen. Was ich noch weiß ist, dass ich mich längst nach niemals endendem Schlaf sehnte, nach endgültiger Nichtmehrteilhabe am Leben. Ich war mit den Nerven bereits am Ende, da mich niemand mochte, jeder jagte, alles lachte, als irgendwann jemand auf Höhe des Doms in einem zweiten oder dritten Stock ein Fenster öffnete. Auf mich hinab schrie: “Setz’ doch einfach deine verdammte Maske auf, du Wichser!”

Das war der Moment, in dem ich erwachte. Es war halb zwei. Blind tastete ich auf mein Nachttischlein. Da lag sie, meine Maske. Es war alles in Ordnung. Ich war in Sicherheit. Alle Welt mochte mich.

Ob die Schilderung eines Traums unter Fiktion oder Non-Fiktion läuft, keine Ahnung. Ich kann nur sagen, dass mir dieser Traum wesentlich lieber war und ist als die Nummer mit den ausfallenden Zähnen. Oder dem Weglaufen, was nicht funktioniert, weil man zwar die Beine bewegt, aber nicht vom Fleck kommt.

Ich wünsche geruhsame Nächte.

Über die generelle Lachhaftigkeit bipolarer Schieflagen. Lesen Sie auch: David Wonschewski “Schwarzer Frost”. Mehr dazu: HIER.

Ein Kommentar zu “Des Nachts.

  1. galgenzork
    27. März 2021

    Das ist ja noch mal gut gegangen. Dass Ihr Traum einen konstruktiven Ausweg anbietet, finde ich aufschlussreich. Es sagt etwas über Ihr Denken aus. Haben Sie schon die neueste Ausgabe von Chez Krömer mit Torsten Sträter gesehen? Da treffen sich 2 Depressive und ich habe das Gefühl, zu Hause zu sein. Im guten Sinn. Manchmal ist das ein Trost: zu spüren, dass einer den anderen grundlegend erkennt und versteht. Warum schreibe ich Ihnen das? Vielleicht, weil ich Sie ein wenig verstehe und Anteil nehme: an ihrem Angstschweiß.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 22. April 2021 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , , , , , .
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