Fast schon Literatur oder: Eine Milchglasscheibe namens Verzweiflung.
von David Wonschewski
Die Frage ist so alt wie die Musikindustrie: Wann macht eine relativ erfolgreiche Band alles richtig? Wenn sie ein Erfolgsrezept findet und dieses Album für Album aufwärmt, es somit zum Schema X werden zu lassen droht? Oder wenn sie sie dieses feine Rezept nach einer Platte mehr oder minder in die Tonne tritt, was halbwegs Neues versucht – was gerne mal zum Sprung zwischen alle Stühle gerät, bisherige Fans abschreckt, neue nicht generiert?
Nun, die Liste der Musiker, die sich an dieser Frage abkasperten, ist lang. Im PostPunk-Bereich der vorherigen Generation gingen Bloc Party mit ihrer Experimentierlust eher baden, derweil Interpol zwar auf hohem Niveau gleich blieben, nur dass dieser Klangschuh halt allgemein etwas ausgelutscht war nach diversen Jahren.
Und nun die neue Generation, Fontaines D.C. . Das Debüt “Dogrel”, bei Weitem keine zwei Jahre alt, war ein Hit-Knaller. Die Combo aus Dublin schaffte es, mit ihren Arbeiterklassenlyrics eine Tiefe zu erreichen und ebendiese mit wutschnaubenden Klängen zu konterkarieren, dass die Zerrissenheit eines machtlosen Lebens, in dem Mann sich zwar alles bieten lassen muss, sich aber nicht alles bieten lassen will, tanzbar wurde: “Is it too real fo’ ya?”. So etwas hatte man zuletzt beim Debüt der Arctic Monkeys erlebt.
“A Hero’s Death” heißt der Nachfolger und um es direkt zu sagen: Fontaines D.C. entscheiden sich dafür andere Wege zu gehen als zuvor. Entscheiden sich dafür weniger Airplay-verdächtig zu agieren, weniger Pop, mehr Versponnenheit. Wunderbar nihilistisch ist Frontmann und Texter Grian Chatten immer noch unterwegs, doch es ist nicht mehr so wie bei “Dogrel”, wo man das Gefühl hatte auf eine graue kaputte Stadt namens Dublin hinab zu schauen, in der sich verlorene Existenzen im Pub die Gläser um die Ohren, sich gerne und schnell auch mal einen auf die Schnauze hauen. “A Hero’s Death” ist mehr wie der Moment davor. Es ist Freitagabend, Pub-Time. Und du hockst zu Hause und weißt nicht wozu das alles. Viele geradezu klaustrophobisch wirkende Lieder finden sich hier, allen voran “Televised Mind” und “You said”. Klaustrophobisch in der Art, dass sie dich nicht packen, schütteln und wegzerren, sondern verschlucken: “They’re all gulls in the sky / they all mimic love’s cry / and I wish I could die” stöhntsingt Chatten hier. Auch das Erwachsenwerden kommt hier natürlich ins Spiel, man ist halt kein Teenager mehr: “You’d sooner draft me as a soldier / than you’d have me for a dad.” beklagt sich Chatten in “Sunny” entsprechend. Und man weiß nicht so recht bei wem – beim Staat, den Frauen, sich selbst?
Textlich ist Chatten weiterhin in Höchstform und das verwundert wie es erfreut. Zwar haben wir alle gelernt, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren einschätzen sollte, aber von ihm würde man noch immer bestenfalls Noel Gallagher-Textweisheiten erwarten (die deswegen so gut funktionierten, weil sich zutrafen und nicht allzu schwierig zu verstehen waren). Aber nichts da, was Chatten da auffährt, ist fast schon Literatur.
Zum regelrechten Pfundstück gerät der Titeltrack, in dem es wiederholt “life ain’t always empty” heißt, wenn Chatten diverse Rollen einnimmt, die man als Mann so abgreifen kann. Und aufzeigt, dass bei aller Verlorenheit, bei aller maskulinen Lust zu Suff und Drogen und Wut männliche Existenz verdammt viel Gutes zu bieten hat, man als Kerl verdammt viel Gutes zu bieten hat. So man es denn schafft, durch diese verdammte Milchglasscheibe namens Verzweiflung zu schauen.
Doch, keine Sorge: das ist schon alles weiterhin Indie, weiterhin PostPunk, ihren Trademarksound kann auch das Quintett nicht so einfach ablegen, so lange – gottlob – die gleichen Leute dabei sind wie bei “Dogrel”. Es ist nur alles breitflächiger angelegt, weniger pointiert. Es erfordert mehr Hingabe als das Debüt, zumal es auch eine letztlich breitere Spielweise bietet. “Love is the main thing” beispielsweise geht schon fast gen Art-Rock, Drummer Tom Coll zeigt hier eindrucksvoll, dass eine sehr gute Band nicht aus einem guten Sänger, sondern aus 4-5 enorm talentierten Leuten besteht. Das ist so ein Stück, dass man sich wieder und wieder anhört, einfach nur um allein dem Schlagzeug zu folgen. Das Abschlussstück “No” schließlich ist wieder so eine Ballade, wie Fontaines D.C. sie offenbar mühelos aus dem Ärmel schleudern. Der lyrische Wunderknabe Chatten widmet sich hier der Frage, ob es eigentlich wert ist einen längst verlorenen Kampf weiterzukämpfen. Die Frage ist nicht neu, die meisten Lieder antworten da dann irgendeinen Schmarrn mit Liebe, die alles besiegt und alles rechtfertigt. Oder so. Und Chatten? Nun: ““Please don’t lock yourself away/Just appreciate the grey,”
Eine Zeile, die das Album sehr gut zusammenfasst. Sonnenscheine werden Dubliner Indiemusiker niemals sein, Optimisten auch nicht. Aber gerade das macht sie so wertvoll, gelingt es doch keinem so gut wie ihnen das Weitermachen, das Nichtaufgeben, das Durchhalten unzuckerig zu servieren.
Es ist ein Album, das sein halbes Dutzend Durchgänge benötigt, dann aber, nach und nach, Glücksmomente offenbart. Von mir gibt es fünf Sterne, da das alles ganz genau das ist, was ich will, warum ich Musik höre. Gut möglich, dass manch Fan des Debüts aber bei bestenfalls drei Sternen strandet.