von David Wonschewski
Die Frage ist berechtigt, die Frage ist gut, die Frage ist mittlerweile aber auch verdammt alt: Wie ist unliebsamen Zeitgesellinnen und Zeitgesellen mittels Musik am besten beizukommen? Nehmen wir politisch eher rechts stehende MitbürgerInnen, von uns gerne mal zu spät, genauso gerne aber auch verfrüht als „Nazis“ enttarnt – kann das politische Aufklärerlied da was ausrichten?
Immerhin die Antwort darauf ist simpel: Nein, kann es nicht. Wer klar artikulierte politische Lieder „gegen Rechts“ schreibt, kann Applaus und mitunter gar Preise zwar fest einplanen, singt letztlich aber immer nur in die eigene Suppe. Wer wie ich schon des Öfteren bei einem Konzert eines linksgerichteten Liedermachers im Publikum stand, wird das kennen: Man steht da unter Seinesgleichen herum, so als Aufgeklärter unter anderen Aufgeklärten, als Privilegierter unter anderen Privilegierten, erfreut sich seine 90 bis 120 Minuten lang daran, dass man menschlich so hervorragend gut geraten ist. Derweil derdie Hansel*In vorne auf der Bühne den Soundtrack zum eigenen Lebensgefühl liefert. Ab und an lässt ersie theatralisch kopfschüttelnd einen unausgegorenen Halbsatz fahren Marke „oh, dieser Friedrich Merz“ und jeder ist sich blöde genug, das einfach einmal als Spitzenpointe durchgehen zu lassen, der Saal rastet schier aus, weil man so etwas Humoriges und zugleich Aufrechtes selten gehört hat. Gerne wird dann noch eine mutlose Poesiealbumsplattitüde hinterhergeschoben – „jeder Mensch soll das Recht haben zu leben wie er will und wo er will“ – und fertig angerührt ist der politische Liedermacherzement, Stillstand par excellence, Kraulübungen im eigenen Anstandssaft. Was ich jetzt um Gotteswillen nicht nur als Kritik gelesen wissen möchte, auch wenn Bühnengrößen wie Springsteen oder Pispers Ähnliches schon formulierten. Dem sich Reinwaschen durch Suhlen im eigenen Saft kommt seit jeher eine nicht zu unterschätzende psychologische Bedeutung zu, nach innen ist das hocheffektiv. Hat nur eben nach außen hin keinerlei Wirkung. Es sei denn, man geht den Weg in die wirkliche Öffentlichkeit, die sozialen Medien, bietet sich jenen Andersdenkenden als hassenswerte Projektionsfläche dar. Kann man machen, ist dann immerhin sich suhlen 2.0. .
Nach anderthalbstündigem sich selbst auf die Schulter klopfen tun einem bei so einem Anti-Rechts-Liedermacherkonzert jedenfalls mächtig die Flossen weh und man fragt sich, wo wohl die Leute sind, die wirklich was voranbringen. Wenn das hier der pervertierte Anstand ist, wo ist dann der wirkliche Anstand, die wirkliche Lust an Bewegung? Und wo erfolgt die wirkliche Operation an Schnitt- und Nahtstellen?
Ich sage es nur ungern, aber vielleicht findet sich der tatsächlich bei singenden Müttern mit Hang zu Befindlichkeitspop. Klingt so hingeschrieben irgendwie ironisch – warum eigentlich? – ist aber durchaus ernst gemeint. Mir fällt da mittlerweile ein halbes Dutzend Musikerinnen ein, allesamt in breiteren Schichten durchaus beliebt, vom ach wie intellektuellen Teil der Liedermacherszene jedoch gerne ein wenig elitär weggeschmunzelt. Und bevor nun jemand fragt, ob das denn nicht einfach Frauen sein können, was denn die Grütze mit dem Muttersein soll: Nein, das funktioniert nicht. Keine Ahnung, warum das so ist. Vielleicht weil man halt doch immer heraushört, wer zuvorderst auf eigene Rechnung unterwegs ist und wer wirklich die ganze Welt im Sinn hat. Kann aber auch einfach ein gewissermaßen logischer Zufall sein, der ab einem gewissen Alter wenig überraschend ist, rein künstlerisch gesehen nichts zu bedeuten hat. Wobei mir das neu wäre. Dass Elternschaft so gar nichts mit einem macht.
Eine, die aus der so adrett von mir aufbereiteten Nonsense-Schublade sich lebenspositiv artikulierender Befindlichkeitsliedermacherinnenmütter hervor sticht, ist Nadine Fingerhut. Optisch kommt die gepiercte und tätowierte Hessin wie eine veritable Prügelpunkerin daher – offenbar ein aktueller genreübergreifender Trend bloß nicht mehr genretypisch auszusehen (meine Lieblingspostpunker kommen – quasi im Gegenzug – mittlerweile allesamt wie Broker und Juristen daher). Und reicht man ihr zum Interview das Mikrofon, lässt sie keine Gelegenheit aus, ihren Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz hervorzukehren. Hört man sich dann aber die Lieder ihres neuen Albums „Lasst die Liebe lauter werden“ an, wundert man sich zunächst. Da taucht nämlich nichts von ihrem politischen Wumms drin auf, null. Wie das Album überhaupt mächtig Augenrollstoff bietet für jene, die der Meinung sind, dass so ein Wecker- oder Wader-Text sehr wohl Tausende von „Falschdenkern“ korrekt auf Linie bringen, einnorden kann. Ja, das deftige politische Statement sucht man vergeblich, auch Freunde der zynischen Bestandsaufnahme werden nicht fündig. Ebenfalls das Suchen und Warten sparen können sich alle die, die kreative Reime mögen oder ein Faible für noch nie gehörte Bilder haben. Aber ob denn zumindest so etwas wie Storytelling in Nadine Fingerhuts Liedern zu finden ist, möchten Sie nun wissen? Nope. Und wir ahnen, dass der Geist eines manchen Kreativhirns hier arg ins Rattern gerät. Wenn das alles nicht drin ist in ihren Liedern – was bleibt denn dann noch, um drin zu sein? Und schon steht da diese widerliche Befürchtung im Raume: doch nicht etwa heiße Luft?
Nun, schauen wir uns das, was in meiner Welt unter „Befindlichkeitspop“ läuft, gerne halbwegs objektiv an. Gleich der Opener, passend mit „Der Anfang“ betitelt, ist eine für Fingerhut typische Ballade mit pointiert gesetzten Jauchzer-Ausbrüchen ins Lebenslüsterne. Ob nun bewusst oder nicht, kommt das Stück ein wenig wie eine Verbeugung vor einer der bekannten Textzeilen der Popgeschichte – „Hello Darkness my old friend“ – daher, erzählt uns Nadine hier doch, dass sie das lockere, das luftig-leichte neue Leben nicht durch Flucht vor Ihrer Angst erreicht hat, sondern durch Verschwesterung mit ihren eigenen dunklen Tälern, dem Erkennen, dass jede Angst etwas Gutes im Schilde führt, sich ein positiver Nutzen daraus gewinnen lässt.
Ähnlich der beinahe Titeltrack „Liebe wird lauter“, in denen sich Nadine in größtmöglicher Ehrlichkeit ihren vielen Selbstzweifeln und Fehlern stellt, all den schlechten Entscheidungen, die sie in ihrem Leben gefällt hat. Das ist textlich zwar weitaus wagemutiger konzipiert als das prächtig gelungene „Der Anfang“, verliert jedoch dadurch an Zugkraft, da hier mit zunehmender Lieddauer auch all die Wortschatullen abgefeuert werden, die in mancher Leute Welt vermutlich wirklich einen gewissen Gänsehautfaktor besitzen, in meiner Welt aber halt leider genau jenes Schema X abbilden, der mich irgendwann zu einem Gegner von im Mainstream erfolgreichen Liedern hat werden lassen. Denn nach tollem Textanfang hört auch Nadine dann einfach nur noch auf ihr Herz und auf das kleine Kind in sich, weiß, dass sie alles schaffen kann und lässt alles Beschwerliche einfach los. Das ist, menschlich betrachtet, ganz wunderbar, einen besseren Lebenstrick kann man in Songform kaum verabreichen. Wenn er nicht eben so furchtbar beliebig wäre, so heftig an der Oberfläche getextet, dass jeder auch sich gemeint, aber eben leider nicht direkt angesprochen fühlen kann.
In massentauglicher Hinsicht – und das ist keineswegs als Vorwurf gemeint, ich empfinde es nicht als Makel, so ein Musiker sich überlegt, wie eher 10 000 Leute zu erreichen wären als nur 100 – ist „Lebe wird lauter“ (und hier spricht der Fachmann) jedochh der perfekte Radiosong. Hitradio wird bekanntlich nach der Vermeidung von Abschaltimpulsen erstellt, umso weniger Anlass ein Lied bietet, dass sich irgendwer dran stoßen könnte, desto freier ist der Weg in die Hot Rotation. „Liebe wird lauter“ bietet nicht einen einzigen Abschaltimpuls, gaukelt ein Höchstmaß an Gefühlen vor, ist das, was wir unter „catchy“ verstehen und wird getragen von Nadines – das kann man nicht anders sagen – nicht nur unglaublich schöner, gleichermaßen glockenklarer wie immer wieder latent rauer Stimme, sondern auch von etwas, das sogar mich, der ich das Lied an sich als „Plastik“ empfinde, erreicht: Authentizität. Schwieriger Schwebebegriff, kaum mit eindeutigem Inhalt zu füllen, knallt mir in allen Liedern des Albums aber voll vor den Bug: Da ist kein Marketingkniff, kein Radiotauglichkeitskonzept. Das Schema X höre ich zwar und das vollkommen zurecht, es wurde jedoch nicht von Fingerhut angesetzt, denn sie ist einfach so. Wären die Lyrics vielschichtiger und tiefer, es wäre nicht Nadine, es wäre – man kann es immer auch andersherum sehen – Plastik.
Ja, bei der Masse, die bekanntlich gar kein Interesse daran hat, Musik nach den hehren Parametern von Lyrik und Literatur zu vermessen, wird Nadine, da gehe ich jede Wette ein, über kurz oder lang mächtig einschlagen. Aber reicht das? „Glücklich“ – der aus meiner Sicht beste Track des Albums – zeigt, dass Nadine sprachschatullige Exzesse wie „Liebe wird lauter“ gar nicht nötig hat, ja interessanterweise ihr stetig wiederholtes Mantra vom „loslassen“ gerade dann eine unglaubliche Kraft, einen richtiggehenden Sog entwickelt, wenn sie, ha!, endlich mal fest zupackt. Dass die Frau, die sich auch gerne mit einem alten VW-Bulli in der Walachei fotografieren lässt, ein Gutmaß an Reiseromantik verfügt, das wurde schon auf früheren Alben deutlich. So griffig und auf den Punkt getextet wie in „Glücklich“ hat sie es aber nie zuvor. Nadine zeigt hier Ansätze von Storytelling, sie steigt mit einem Partner spontan ins Auto, es geht nach Madrid, beiden tut es merklich gut, einfach mal raus zu kommen, dem Alltag und seinem morastigen Einerlei ein Schnippchen zu schlagen.
Nein, die ganz hohe Textkunst ist das noch immer nicht, will es auch gar nicht, darf es auch gar nicht sein, zeigt sich doch hier – und in einigen anderen Liedern – Nadines Ansatz, mit den eingangs erwähnten dunklen Gesellen umzugehen. Durch textliches Herunterbrechen auf den größten gemeinsamen Nenner. Das Unklare, das wenig Konkrete, dass man, ich, ihr mitunter vorwerfen kann, vielleicht gar muss, es gerät hier zu einem Lösungsansatz, der so wenig selbstbezogen, eitel und arrogant von oben herabdoziert ist, dass sich die ebenfalls eingangs erwähnten intellektueller daherkommenden Liedermacher eine heftige Charakterscheibe davon abschneiden können. Womit wir bei der entscheidenden Frage angekommen wäre: Würde so ein AfD-Wähler was mit einem Maurenbrecher- oder Weckersong anfangen können? Die Älteren mitunter schon, die stammen ja bekanntlich vielfach aus der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung, die Qualität einer Wader-Komposition muss man denen selten erklären, eher schon in welchem „Surrounding“ die eingesetzt und interpretiert wird. Aber die jungen AfD-Sympathisanten? Keine Chance. Mit den Stücken von Nadine Fingerhut ist das was anderes, die sind derart gesinnungsfrei gestrickt, dass sie das Problem einer zunehmend rechts gerichteten Gesellschaft viel mehr an der Wurzel packen als jede noch so versiert in die Welt gesetzte Politballade. Denn dass eine jede politische Gesinnung (egal welcher Couleur) ihren Ursprung in der Vita, der Sozialisierung und Psyche eines jeden hat, das wissen wir alle. Hat man das jedoch erst einmal verinnerlicht, so ergibt sich, je länger man den Songs auf „Lasst die Liebe lauter werden“ lauscht, eine faszinierende Umkehrung. Denn plötzlich ist es die intensiv getextete Politballade, die über die Köpfe der angeblich Angesprochenen oberflächlich hinweggeschmiert wird. Derweil die leichte, nicht zu „deep“ getextete Fingerhut-Komposition sich auch neben die unliebsamen Leute setzt, jeens vor gar nicht langer Zeit von hoher Stelle mals als „Pack“ diffamierten Nachbarn, Freunde, Mitbürger. Bereit ist ehrlich mal zu fragen, wie es denn so geht, woher die Wut, warum der Zorn, wozu dieses gramerfüllte sich in Dingen verbeißen, die nicht zu ändern sind, die nicht geändert werden müssen. Dabei gar nicht auf die Idee fundamental tiefschürfender Diskussionen setzt, sondern auf die befreiende Wirkung – jetzt bin ich auch mal kitschig – des Windes. Der konzeptuellen Idee der verbalen Brechstange setzt sie die oft besungene, jedoch selten derart ernst genommene Wirkmächtigkeit des Flows entgegen. Dieses Album von Nadine Fingerhut zu hören ist für jemanden wie mich, den es immer zu doppelbödig verquasten Texten ziehen wird, wie eine Auseinandersetzung mit einer Künstlerin, die sie, so paradox das klingt, deswegen Lied für Lied gewinnt, weil ich die besseren Argumente habe. In der Lage bin hinter jede ihrer Zeilen das große, das lautstarke, vielleicht sogar wutschnaubende ABER zu setzen. Und doch – das weiß sie, das weiß ich, das weiß die ganze Welt – der Erste bin, der auf ihr sommerliches Luftkommando hin in ihren VW-Bulli hüpfen würde, den Strohut auf dem Kopf, die Flausen darunter.
Nun ja.. während des Lesens war ich mehrmals hin und hergerissen.. anhören oder nicht? Denn ich mag es gern tief in den Texten und weniger mit schonmal erklungenen Phrasen 😉 😉 Die Neugier siegt und jetzt läuft nebenbei schon mal die Singlauskopplungen, denn das Album scheint bei Spotify noch nicht hörbar zu sein. Danke für Deine Gedanken aus der Richtung eines “sonst- sowas -eher – nicht-Hörers”.. diese nicht lobgehudelte, differenzierte Betrachtung ist interessanter als die Lobeshymnen aus Pressetexten, aus denen man eh nicht herauslesen kann was nun das kommende Meisterwerk wirklich zu bieten hat. 😉