David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Soeben ausgehört: Rolf Zacher – “Danebenleben” (2011)

von David Wonschewski

Am Ende – und das ist doch eine sehr gute Nachricht – kommt es in der Musik immer auf zwei Dinge an: Zum einen braucht es gute Songs und zum anderen jemanden, der diese Songs, auch wenn er sie nicht geschrieben hat, glaubhaft zum Hörer trägt. Und was diese beiden zwingenden Grundvoraussetzungen angeht, ist Danebenleben, das neue Album des Schauspielers, Allroundkünstlers und irgendwie wohl auch „Lebemanns“ Rolf Zacher ein unfassbarer Geniestreich. Denn das Rolf Zacher es in über 70 Jahren Existenz (er verstarb 2018) zu einer Form von ungeschliffener Credibility gebracht hat, für die internationale Superstars wie Johnny Cash oder Bob Dylan verdammt lange haben stricken müssen, ist unzweifelhaft.

Das ausschweifende Leben des Umtriebigen – Max Reinhardt Seminar, Anita Ekberg, Schamoni, Fassbinder, Irma La Douce, Amon Düül, Endstation Freiheit, Heroin, Gefängnis, Geschwindigkeitsrausch – Zacher hat es tatsächlich geschafft, irgendwie alles mit zu nehmen. Und viel wichtiger: alles und jeden in gewisser Weise auch zu überleben. Dass gerade einer wie er nicht schon vor Jahren oder gar Jahrzehnten der finalen Selbstzerstörung anheimgefallen ist, mag eines der kleineren Wunder des Lebens sein. Dass er mit Danebenleben aber ein schlichtweg großartiges Album herausbringt, ist vor diesem Hintergrund fast nur logisch. Denn Zacher hat das Leben, die Erfahrung und die ungeschliffene Brillanz – Produzent und Songautor Martin Bechler aber das Händchen für genau jene Art von Songs, die Danebenleben zu einer klanglichen Essenz der Person Rolf Zacher werden lassen. Nun mag es dem ein oder anderen Kritiker nicht ganz zu Unrecht auf den Geist gehen, wie ausgiebig sich der gebürtige Berliner hier in seiner Rolle als „ich habe nichts ausgelassen“-Grandseigneur inszeniert. Mit dem kleinen, aber bedeutenden Unterschied, das Rolf Zacher aber eben genau das ist, er ist die leibhaftige Inszenierung des Lebens. Und wenn so einer dann in Scheissegal singt: „Ich wollt mit den Zigeunern spielen, mit den Wolken ziehen, ich wollte einfach welken, ich wollte einfach sein/ Ich wollt‘ mit den Matrosen saufen, mich mit den Jungs raufen, wie ein angeschossener Pudel durch den Regen/ Und der Rest? War mir so egal, scheißegal, vielleicht in `nem anderen Leben, ne, vielleicht ein anderes Mal“, dann ist genau das bei Zacher keine schwüle Fernweh-Theatralik, sondern – ja, sogar das mit den Zigeunern – eine simple und ehrliche Rückschau, been there, done that, wie ein tiefergelegter Blick in seine Biographie zeigt. Gerade ein Song wie Scheissegal verdeutlicht dabei den horrenden Wert, der Martin Bechler bei diesem Album zukommt, erzeugt er seinem „Schützling“ doch einen dramaturgischen Klangteppich, mit dem schon der große Jacques Brel seine bis heute unerreichten Huldigungen an die Schönheit eines dreckigen Lebens geseufzt und geschmettert hat. Die sanften, chansonesken und pianobasierten Schwelgereien hier, der fast schon brachial aus Zacher heraus brechende Pathos dort – und mittendrin diese Stimme, der man ohne Anlaufschwierigkeiten sofort abnimmt, dass sie alles gesehen, alles gehört und vermutlich auch alles schon einmal gesagt hat. Fast alle Stücke auf Danebenleben kommen in diesem leicht kleinkünstlerischen Gewand daher und Zacher gelingt auf den zauberhaften Melodien von Martin Bechler etwas, wozu tatsächlich im deutschsprachigen Raum allenfalls noch ein Udo Lindenberg oder Manfred Maurenbrecher fähig sind – er vermengt charismatische Eleganz mit der Abartigkeit der Gosse, er croont sich durchs Elend, mit dem Ergebnis eines kleineren Paradigmenwechsels beim Hörer, denn hört man Zacher so lustvoll daher saubeuteln, kommt tatsächlich die Frage auf, warum nicht jeder sein Leben so wunderbar durch den Schlack ziehen möchte.

Auch zu zwei Coverversionen haben Zacher und Bechler sich auf Danebenleben hinreißen lassen. Und wer bisher immer gewusst hat, dass Rolf Zacher über ein gegerbtes Tom Waits-Organ verfügt, sollte sich anhand von I’m on Fire – im Original von Bruce Springsteen – und Love Of My Life – im Original von Queen – durchaus noch einmal der Erkenntnis hingeben, dass die Tatsache, dass man etwas weiß, niemals von dem Verlangen abhalten sollte, etwas dennoch erneut zu erleben. Sicherlich, was Zacher aus diesen Klassikern der Rockballaderei macht, geht fast schon in Richtung Persiflage, des Schauspielers seit jeher nach Schnaps und Wodka klingendes Reibeisenstimmlein scheint hier bewusst bis an den Grad der ‚Verächzung‘ gedrückt zu werden, gerade bei Love Of My Life ist die Überlegung, ob Zacher den Song überhaupt bis zum Ende bringen wird, sehr legitim. Gerade diese offenbar bewusste Übertreibung ist es jedoch, die diese beiden Coverversionen zu zwei punktierten Highlights auf Danebenleben werden lässt, denn nicht zwei in Saft und Kraft stehende Rockheroen wie Springsteen und Mercury erscheinen dem fasziniert Lauschenden plötzlich vor den Augen, sondern Zacher, der als eine Mischung zwischen dahinsiechendem Casanova und schwitzend und sterbend darniederliegendem Mozart die letzten Wahnvorstellungen durchlebt.

Großes Kino für einen singenden Schauspieler.

Kommentar verfassen

Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 21. November 2020 von in EAL / Liedermacherszene, Musikrezensionen und getaggt mit , , , , , , , , , .
%d Bloggern gefällt das: