Inbrünstig zusammenrecherchiert von David Wonschewski
Am 29. Oktober 1965 veröffentlichten The Who den zweitgrößten Hit der musikalischen Stottergeschichte. Der bitte was? Stottergeschichte? Und wieso nur “zweitgrößten” – geht’s noch, bei dem Brett von einem Lied?
Zugegeben, der wirkliche Stotterer Scatman John war in den 90er-Jahren zwar kurzzeitig sehr erfolgreich mit seinen im Stotter-Style vorgetragenen Poptanznummern, an Bachman Turner Overdrive, die sich 1974 in dem berühmtesten Stottersong “You ain’t seen nothing yet” einfach nur über den Bruder eines Bandmitglieds lustig machten kam er aber nie heran. In Sachen Stotterhaftigkeit schafften das auch neun Jahre zuvor The Who nicht als sie “My Generation” veröffentlichten. Was vielleicht auch daran liegt, dass Roger Daltrey’s “P-p-p-people try to put us dooown…” nie als Exkursion in Sachen Logopädie gedacht war, sondern – The Who Manager Kit Lambert hatte den Kniff ersonnen – einen Jugendlichen auf Speed darstellen sollte. Bei Wahlen zu den größten Rocksongs aller Zeiten schafft es die Nummer immer in die Top 15, umso bemerkenswerter, dass das rebellierende Stück in den USA nur auf Platz 74 chartete seinerzeit. Nicht minder bemerkenswert ist, dass die BBC das Stück lange nicht spielte, um die Gefühle von Stotterern nicht zu verletzen. Was ich von derlei vorauseilendem Mediengehorsam halte, habe ich HIER schon einmal dargelegt.
Was war noch am 29. Oktober?
1971 – Duane Allman von der Allman Brothers Band (sind in den USA ziemlich groß, hier nahezu unbekannt) stirbt in Macon, Georgia, als er auf einer Landstraße die Kontrolle über sein Motorrad verliert, das Ganze bei dem Versuch einem Traktor auszuweichen. Es wird berichtet, dass Allman vom Motorrad geworfen wurde, selbiges hoch in die Lüfte emporstieg, dann wieder – wie das halt so läuft – hinunterfiel und anstatt einfach nur auf Erde oder Weizen, rrrumms, direkt auf dem Bandleader landete. Und dann, mit Allman unter sich, nochmal 200 Meter weiterrutschte. Wir lernen: Das Leben in der Provinz ist nicht nur gefährlich, es ist auch auf cineastische Art und Weise dramatisch.
Auch hübsch 1977 – da verklagt eine belgische Reiseagentur die Sex Pistols. Der Vorwurf: die Marketing-Retorten-Combo (Urteil von Johnny Rotten höchstperönlich, Jahre später) habe das Cover ihrer Single “Holidays in the sun” frech bei einer ihrer Werbeanzeigen abgekupfert. Hm, vom Cover her durchaus vorstellbar. Aber wo sollen Briten einer belgischen Werbeanzeige anno 1977 denn begegnet sein? In Newcastle upon Tyne?
1983 -Der LP-Meilenstein “The Dark Side of the Moon” von Pink Floyd ist die 491ste Woche in Folge in den US-Billboard Charts und wird damit auch in Sachen Chartsverweildauer zum erfolgreichsten Album aller Zeiten. Lustigerweise kennt niemand mehr die Platte, die Pink Floyd 1983 als Rekordhalter ablösten: “Johnny’s Greatest Hits” von Johnny Mathis. Als “The Dark Side” die Güte hat die Charts zu verlassen schreiben wir im Übrigen das Jahr 1988 und es waren in Summe dann 741 Wochen. Der beste Beweis dafür, dass nicht alles, was im Radio auf Hot Rotation läuft ratzfatz “verbrennt”, wie es im Medienfachjargon heißt. Also nicht mehr spielbar ist, weil es wirklich jedem zum Halse raushängt.
Ebenfalls 1983 gelingt Dolly Parton und Kenny Rogers mit “Islands In The Stream” ein Nummer 1 Hit in den USA. Und wer hat den Song geschrieben? Na? Richtig: die Bee Gees. Hört man auch total raus – oder nicht? Genauso wie beim Megahit “Heartbreaker” von Dionne Warwick. Auch von den Bee Gees.
1988 – Enya entert die UK-Charts mit “Orinoco Flow”. Man mag diesen Mix aus keltischer Folklore im New Age-Gewand ja für irgendwie unique halten. Mir selbst geht er so sehr auf den Geist, dass ich nicht einmal hier ein Video teilen mag. Jahre später war der 11. September schon tragisch genug. “Only Time” von Enya machte die Zeit danach noch ein Stück unerträglicher.
1996 – das ist was für mich. Wenn auch eher traurig. Die großartigen Stone Roses aus Manchester trennen sich. Sänger Ian Brown sagt damals, dass es nach zehn Jahren im dreckigsten Geschäft der Welt eine Wohltat ist da raus zu sein. Dass er bis heute – im Übrigen ziemlich gute – Alben veröffentlicht, also sich offenbar noch immer hingebungsvoll suhlt im Schmutz, tja, ist eine andere Geschichte. Shoegaze-Sound ist im Übrigen wieder total im Kommen. Naja, zumindest in meiner Welt.
2000 – den Spice Girls gelingt das Kunststück der erst vierte Act der Musikgeschichte zu sein, der neun Nummer 1-Hits in UK hinbekommt. Ich las ja erst dieser Tage ein Interview, wo irgendeine der multiplen Mel’s dieser Band stolz kundtat, dass die Spice Girls damals einfach verdammt unbequem für unsagbar viele Menschen gewesen seien. Interessante Sichtweise. Ich dachte wer Abermillionen CDs verkauft und Stadien füllt und sich an Merchandise dumm und dämlich verdient, dass der doch eher so das Gegenteil von unbequem ist. Ist aber auch so ein Zeitphänomen, wenn ich heute über oder zu jemandem sage, dass ich sieihn oder seinihr Zeug einfach nicht mag, dann ist die erste Reaktion nicht mehr mir zu sagen, dass ich ihnsie mal kreuzweise kann, sondern zu fragen, wovor ich eigentlich Angst habe. In der Rückbetrachtung waren wir alle Rebellen, gehörten wir alle zu denen, die sich nie haben verbiegen lassen. Waren die, die sich so richtig was getrsaut, aber mal so richtig einen rausgehauen haben. Werde ich gefragt wovor ich denn eigentlich Angst habe, wenn ich so gegen Forster, Giesinger & Konsorten wettere, dann antworte ich stets: Vor einer Übermüllung der Gesellschaft! Hach, Greta würde mich lieben. Der Form halber nachgereicht: Die neunte Nummer 1 der Gice Spirls trug den Titel “Holler/Let Love Lead The Way”. Kannte ich nicht, knalle ich euch aber erbarmunslos unten rein. Aber Vorsicht ist geboten, wenn ihr reinhört: Verdammt unangenehme Nummer, die total meine eingefahren Werte hinterfragt.
2009 – das Forbes Magazin gibt (nicht 2009, sondern 2017) bekannt, dass Michael Jackson seit seinem Tod (der war 2009) 72 Millionen Dollar verdient hat. Ich finde das Forbes Magazin hin und wieder ja echt amüsant. Die führen echt eine Liste von Leuten, die nach ihrem Tod am meisten verdient haben. Besser als Jackson steht Yves Saint Laurent da, der hat aus dem Grab heraus noch 350 Millionen eingeschneidert. Die mir unbekannten Songwriter Richard Rodgers und Oscar Hammerstein 235 Millionen. Was mir nicht ganz einleuchtet ist, warum auch Elvis Presley dort auftaucht mit seinen 55 Millionen. Mit dem habe ich doch erst letztlich noch gequatscht, in der ARAL-Tanke, nachts um drei. Wenn ich es doch sage!
2016 – auch ein 29. Oktober. Und Bob Dylan ist so gnädig den ihm verliehenen Literaturnobelpreis zu akzeptieren. Für mich die richtige Entscheidung, von beiden Seiten. Schade nur, dass sich weder Oslo noch Dylan je nach meiner Meinung erkundigt haben.
Auf bald, grüßend –
David