David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Und, was lest ihr gerade so? 02. Oktober 2020

Liebe Freunde der gepflegten Grobkörnigkeit, liebe Entrepreneure einer betont hilflosen Fotobearbeitung – oder kürzer: Hi Freaks!

Was für ein Opfer meines eigenen Milieus ich bin, erkenne ich nicht nur an der Begrüßungsformel „Hi Freaks“, sondern auch am Titel des 1884er-Klassikers von Joris-Karl Huysmans, den ich gerade lese: „Gegen den Strich“. Denn beides verbinde ich einzig und allein, ausschließlich und nur mit der zweitbesten deutschsprachigen Band aller Zeiten, Tocotronic. Sind nämlich beides Songtitel – und ich weigere mich, in bester Borniertentradition, zu glauben, dass es in diesem Land Menschen gibt, denen es nicht so geht. Müssen dann wohl jene sagenumwobenen „Anderen“ sein, die zwar im Gewand der „Gleichen“ daherkommen, deren Andersartigkeit jedoch als theoretische Wahrscheinlichkeit durchaus festen Sinnes dahinvermutet werden kann. Weshalb der um eine aufrichtige Reputation bemühte Hashtagger sich nach neudeutscher Verhaltensart auch zügigst von diesen vermutlich Anderen abzugrenzen hat. Bevor diese sich, das geht heute schnell wie der Wind, in wilder Spekulation von einem selbst abgrenzen. Mit dem Resultat, dass man ziemlich blöd dastünde, so als Spät- und Langsamabgrenzer. Rumsbumms ist die Karriere im Eimer.

Entschuldigt bitte das unausgegorene Geschwurbel, ich habe zum einen den unsagbar gelungenen und sezierenden Monika Maron-Roman „Artur Lanz“ noch Pumuckl-mäßig in den Gedanken schifferschaukeln und hirne zum anderen gerade an einer Rezension zum soeben beendeten J.M. Coetzee Prä-Bürgerkriegsroman „Warten auf die Barbaren“ (1980). Und fühle mich emotional total gesandwitched. Merke, dass die Kombination aus Maron und Coetzee was mit mir gemacht hat, was ich nur noch nicht so richtig spruchreif zu Ende gedacht kriege. Möchte ich aber unbedingt schaffen. Um in der Folge in der Lage zu sein – Wissen macht Ah! – alle Konflikte der Welt zu beenden. Muss doch möglich sein! Nicht, dass ich jetzt so ein wahnsinnig friedensbewegter Typ wäre. Aber das Gesicht meiner ehemaligen Deutsch LK-Lehrerin würde ich schon gerne sehen, so ausgerechnet mir das gelönge. Immerhin hatte sie vor der gesamten Klasse dereinst den bemerkenswerten Spruch geprägt, dass ich Ihr wie ein wiedergeborener Kafka vorkomme – schriftstellerisch sei da zwar leider noch viel zu viel Luft nach oben, menschlich und charakterlich aber sei die Ähnlichkeit schlichtweg frappierend. Gut möglich, dass sie damit meinen Enthusiasmus anstacheln wollte, geworden ist daraus irgendwas zwischen Pennälertrauma und Vergeltungsgedanken.

Wie, ich schweife ab, höcksgestöcksge mich durch mein Posting? Einen feuchten Kehricht tue ich das! Ich schwöre, da ist total der rote Faden in dem ganzen Verbalquark! Denn meine Lehrerin wähnte in mir einen, der als Mensch unter Menschen eher nicht so klarkommt. Einen, der von Migräne und Weltenwut befallen wird bei einer jeglichen Geselligkeit, die oberhalb von Meerschweinchen liegt. Ist was dran. Und warum ist da was dran? Ist sehr gut bei Coetzee nachzulesen. Tja, und was machen wir nun dagegen? Das wiederum ist sehr gut bei Huysmans nachzulesen. Der Coetzee-Protagonist lässt sich fast schon stoisch von der blöden Masse demütigen und foltern, der Protagonist bei Huysmans – ich bin gerade auf Seite 104 – zieht sich bewusst vereinsamend in ein Haus vor den Toren von Paris zurück, umgeben nur von Literatur und Gemälden. Weit genug weg von der Kapitale, um sich als Eremit zu fühlen, aber auch nah genug dran, um noch was zum sich echauffieren zu haben. Absetzungsbewegungen ergeben halt nur Sinn, wenn das, wovon man sich abzusetzen gedenkt, in Blickweite bleibt. Die sozialen Netzwerke haben ja nun nicht grundlos so viele Nutzer. Ein Drittel findet es geil, ein weiteres Drittel immerhin nützlich. Und das letzte Drittel ärgert sich täglich dunkelfarbig selbst dabei zu sein. Genau das, diese letzte Drittel, das sind die Huysmänner.

Und, was lest ihr gerade so?

3 Kommentare zu “Und, was lest ihr gerade so? 02. Oktober 2020

  1. Sybille Lengauer
    4. Oktober 2020

    „Der Raum zwischen den Worten“ heißt es.

  2. davidwonschewski
    4. Oktober 2020

    Sci-fi Kurzgeschichten…das klingt doch erstmal ganz gut….wie ist denn der Titel?

  3. Sybille Lengauer
    4. Oktober 2020

    Gerade mit sehr schönen Sci-fi Kurzgeschichten von Uwe Hermann fertig, jetzt gibt es ein Zeitreise-Abenteuer von Axel Aldenhoven.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 4. Oktober 2020 von in Nachrichten, Und, was lest ihr gerade so? und getaggt mit , , .

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