David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Und, was lest ihr gerade so? 01. September 2020

Da versuchte ich doch dieser Tage mal wieder, mir selbst auf die Schliche zu kommen. Versuchte eine Antwort auf die Frage zu erhalten, warum ich mich eigentlich so sehr für Literatur von alten, weißen, frustriert-wütenden Kerlen interessiere, in deren Romanen stets alte, weiße, frustriert-wütende Männer im Zentrum stehen. Über Tage versuchte ich zu verstehen, was das mit mir zu tun haben könnte, ich kam nicht drauf. Es war zum Verrücktwerden, ich bekam regelrechte Schreiattacken, warf Dinge durch die Gegend, stauchte Unschuldige zusammen, las Arglosen die Leviten, weil ich einfach nicht drauf kam! Es war zum rumpelstilzen!!

Nun ja, irgendwann werde ich schon noch herauskriegen. Warum ich mich in Romanen von Thomas Bernhard, Markus Werner oder eben Philip Roth so wiederfinde. Apropos, dessen „Amerikanisches Idyll“ aus dem Jahr 1997 lese ich gerade. Mein siebter von ihm, enttäuscht hat er mich bisher nie, im Gegenteil, die verbalen Zornattacken in alle Richtungen lassen mich oft mit geöffnetem Mund folgen. Dieses „Idyll“ hat den Pulitzerpreis 1998 eingeholt. Oft sind zwanzig Jahre alte Romane ja schon ganz schön oll, der hier nicht. Denn da geht es um einen privilegierten Mann, der den amerikanischen Traum vom Tellerwäscher zum Millionär lebt, sich mit seinen eigenen Händen alles aufgebaut hat. Um dann von seiner Tochter und deren Freunden als prototypisches privilegiertes Arschloch hingestellt zu werden, gemobbt, bekriegt zu werden. Unter anderem, weil er hauptsächlich Farbige in seiner Firma beschäftigt, für sich schuften, seinen Wohlstand sichern lässt. Das war eigentlich mal philanthropisch gemeint, aber sind halt verdrehte Wahrnehmungszeiten, nun ist er halt ein Ekel genau deswegen. Würde er nach Asien gehen, um dort produzieren zu lassen, so wie es ihm jeder empfiehlt, wären seine Arbeiter ihre Jobs los, säßen auf der Straße. Und er, da wird ja das Federvieh in der Bratvorrichtung verrückt, immer noch ein Ekel. Also hockt er da, während der Rassenproteste. Und lässt sich von Leuten, die in ihm den Inbegriff des kapitalistischen Establishments sehen, die Firma schrotten. Der gute Katholik hält halt die Wange hin. Wobei, er ist ja Jude, auch das noch…

Tatsächlich von 1997, nicht von 2020, schau‘ einer an. Scheint mir ein echter Roth zu sein, jeder argumentiert jeden in Grund und Boden, kein Stein bleibt auf dem anderen, political correctness wird erst seziert, dann lustvoll zertrümmert…Rezension folgt.

Und ihr, was lest ihr gerade so?

Viele Grüße in den September,

David

8 Kommentare zu “Und, was lest ihr gerade so? 01. September 2020

  1. arminherzberger
    9. September 2020

    Danke für den Tipp.
    Balzac also
    Okay
    Liebe Grüße Armin

  2. davidwonschewski
    9. September 2020

    Hallo, Armin,

    Tolstoi steht auf meiner Klassiker-„wird aber mal Zeit“-Liste. Die beiden genannten „Dostos“ habe ich 2019 gelesen. Ja, schon toll. Zumal ich dort finde, was mir an Fontane oder auch Flaubert fehlt, mit beiden habe ich so meine Probleme. Ist mir zu wenig Gosse, das könnte es sein. Immer dieses gutbürgerliche quasi aristokratische Getue, das halte ich auf 300plus Seiten kaum aus. Auch wenn mittendrin was „revolutionäres“ transportiert wird. Stendhal fand ich ganz schlimm, alle 12 Seiten errötet jemand, ziert sich eine;-) Balzac wiederum finde ich klasse. Die „Verlorenen Illusionen“ sind mit das Beste was ich je las.

    Viele Grüße!

  3. arminherzberger
    5. September 2020

    Lese gerade:Tolstoi Krieg Frieden
    Vorher Dostojewski Schuld und Sühne und auch Die Brüder Karamasov
    Vorher in 2020 vieles von Fontane
    Vermutete Gemeinsamkeiten: Starke Frauengestalten die an Konventionen scheitern.

  4. spamdora
    3. September 2020

    Al Berta wurde mir von einem befreundeten Musiker aus Portugal empfohlen. Er ist in deutscher Übersetzung nur im Elfenbein Verlag veröffentlicht. Und er ist hauptsächlich Poet. Er hat nur einen Roman geschrieben. Er ist quasi die homosexuelle Stimme für Gleichberechtigung in Portugal gewesen und starb leider an Krebs. Mondwechsel ist ein sehr sehr leises Buch. Ein Schriftsteller schaut auf sein Leben zurück … allein auf das Meer hinausblickend.

  5. davidwonschewski
    3. September 2020

    Nicht wahr! Roth aufm Grabbeltisch? Herrje, this is Newark! Wenn du den letzten Kommentar nicht ganz kapierst – lies das Buch!;-)

  6. davidwonschewski
    3. September 2020

    Hui, der sagt mir gar nix. Ne extreme Wissenslücke oder eher ein Geheimtipp?;-) Liebe Grüße, David

  7. spamdora
    2. September 2020

    Ich lese gerade von Al Berto – Mondwechsel … ein sehr traurig poetisches autobiographisches Werk. Es ist Al Bertos einziger Roman. Sein Alter Ego im Buch blickt auf sein gelebtes Leben zurück, was er krank und allein sesshaft auf das Meer blickend beenden wird.

  8. sheshebens
    1. September 2020

    Denselbigen, als Mängelexemplar günstig ergattert und erfreut, dass ich mal wieder ein vernünftiges Buch in den Händen halte. Witziger Zufall, dass ich beim wenigen stöbern heute hier gelandet bin.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 2. September 2020 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , .

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