Dass ich es nicht lassen kann, regelmäßig darauf hinzuweisen, dass ich mal als so richtig hauptberuflicher Musikjournalist für Radio, Fernsehen, Internet und Postille gearbeitet habe, hat einen einfachen Grund: Ich lechze nach Musikerkundschaft. Noch immer. Nicht wegen der Kohle – wie billig wäre das denn – sondern wegen der Reputation. Und dem Aufpäppeln des eigenen Ego (als ob das moralisch besser wäre…). Wir literarischen Schreiberlinge aus dem 3Sat-Deutschlandfunkkultur-Spektrum sind halt so einiges. Nur eines nicht: cool. Nie gewesen. Wenn da also was Lederbejacktes, Tätowiertes, Gepierctes ankommt und sagt: “David, ich bräuchte mal was, was sich nicht reimt und was keinen Mitgröhlrefrain hat, weiß aber nicht, wie das geht – kannst du mal für mich was schreiben?” – dann mache ich das.
Ja, ich weiß, für das Professionsmodell “gegen Bezahlung mal so richtig lieb zu jemandem sein” gibt es im Deutschen schon viel passendere Begriffe als “Musikjournalismus”. Darum bedinge ich mir bei Aufträgen auch immer aus, dass mir diese Erniedrigung bitte erspart bleibe. Letztlich lasse ich mich also dafür entlohnen, dass ich zusammenfasse, was ich wirklich über einen Musiker denke. Graust mich ein Musiker, sage ich ab. Gibt schlimmere Geschäftsideen.
Habe ich aber zugesagt, okay, ein wenig fühlt es sich dann an wie damals in der Schule, als mir die coolen Grunge-Typen 10 Mark gaben, damit ich Nerd deren Deutsch- oder Philosophiehausaufgaben mache. Das Glücksgefühl, das sich einstellte, allein weil sie mich fragten, das ist aber bis heute dasselbe.
Wer wissen will – soviel PR in eigener Sache muss sein – was ich schon so alles gemacht und getan habe, kann einfach HIER einmal reinsehen. Wer selbst einen Text braucht, meine Mailadresse findet sich HIER.
Dass ich nicht jeden Auftrag annehme, das lässt sich dieser Tage nun an Nadine Fingerhut sehr gut sehen. Die hat gerade die erste Single aus Ihrem neuen Album “Lasst die Liebe lauter werden”. veröffentlicht. Und benötigt, wie quasi jeder Musiker, einen PR-Text dazu. Die Anfrage dazu bekam ich. Was ich nicht wusste, war: Kriege ich das hin? Was ich hingegen sehr gut wusste, war: Nadine Fingerhut kannst du gar nicht absagen.
Der Zweifel, ob ich das hinbekomme, liegt schlichtweg darin begründet, dass Nadine sich optimistischer Musik verschrieben hat. Und optimistische Musik mich mal kreuzweise kann. Da denke ich sofort an Radio in seiner schlimmsten aktuellen Darreichungsform. Womit wir bei der Frage sind, warum ich Nadine nicht absagen kann: Alles das, was ich an aktueller chart- und radiotauglicher deutschsprachiger Musik kritisiere, das konterkariert sie zwar nicht, kann es jedoch um eine erste essenzielle Nuance verschieben. Meine Fußnägel, man erlaube mir diese saloppe Formulierung, würden einfach nicht mehr ganz so oft abfaulen, schalte ich das Radio an oder eine dieser vermeintlichen Musiksendungen im TV. Vielleicht käme ich gar in die Situation, das Schulmädchen aus meinem Haushalt nicht permanent professorhaft darüber aufklären zu müssen, was menschliche Musik ist und was kommerzieller Kapitalistenplastikmüll. Das Kind würde Nadine Fingerhut hören – und gut ist.
Ich sehe – fachlich, journalistisch, menschlich – keinen Grund, warum ihr das nicht gelingen sollte.
Unten fesch einkopiert, mein fertiggestellter PR-Text für Nadine Fingerhut. Wer darauf keinen Bock hat, kann sich auch einfach direkt das Video ansehen. Oder ihre Website besuchen: HIER.
Nadine Fingerhut – “Lasst die Liebe lauter werden”
von David Wonschewski
Wie gerne würde ich Nadine Fingerhut mit einem einzigen Wort beschreiben. Doch das ist nicht machbar, niemand Geringeres als der Duden verwehrt es mir. Denn das Wort, das Nadine Fingerhut am besten charakterisiert, das gibt es offiziell nicht. Warum eigentlich nicht? Nadine Fingerhut gibt es doch auch. Und die ist schlicht und einfach: unoptimiert. Entwaffnend authentisch.
Unoptimiert zu sein ist menschlich gesehen eine Tugend, könnte man fast schon einen Deckel draufmachen. Ist in unseren Tagen halt nur so verflucht wenig förderlich beim Karrierestart. Sagt wer? Na, ich. Und wie komme ich auf so was? Ich kenne Nadine seit einigen Jahren, der Zufall führte uns kurzzeitig zusammen, im unprätentiösesten aller deutschen Orte: Buxtehude. Achso, und in ihren neuen Song „Mit meinen Augen“, den habe ich auch gehört. Zunächst ein einziges Mal, aus alter Verbundenheit, Nettigkeit. Dann wieder, weil da diese Stimme und dieser Sound ist, der mich an etwas erinnert, dem ich in dieser Form schon viel zu lange nicht mehr begegnet bin. Und inzwischen auf Dauerschleife, da ich optimistischen Liedern wenig abgewinnen kann. „Mit meinen Augen“ aber genau das ist, mich dennoch kriegt.
MusikerInnen wie Nadine Fingerhut, die mich entgegen aller Logik kriegen, wohnt ein Geheimnis inne. Das zu entschlüsseln wird weder mir, noch sonst wem gelingen. Warum ich nicht aufhören möchte, es zuversuchen. Ja, es scheint so simpel wie lukrativ: die Sache mit dem öffentlichen Mutmachen. Dem Aufrichten, Trostspenden, Glücksversprechen. Seit vielen Jahren sind die oberen Ränge der Charts vollgestopft mit Liedern, deren Texte unangenehm an das erinnern, was auch auf sozialen Kanälen um sich greift. In die Tiefe gehender Inhalt muss hüben wie drüben nicht sein, ein optimistischer Einzeiler reicht. Lass dich nicht verbiegen, gehe deinen Weg! Greif‘ dir das Leben, das dir zusteht! Und überhaupt: Tanze im Regen. Dazu eine leichte Melodie, ein hübschesFoto, fertig ist das Erfolgsrezept. Generiert massig Likes. Und was Likes generiert: Scheffelt Geld. Dabei sind derlei Botschaften philosophische Einbahnstraßen. Auf bescheiden geschminkter Hedonismus, auf Empathie gedrehte Rücksichtslosigkeit. Als Aufrichtigkeit maskierte Arschlosigkeit. Was daran ist eine schöne Botschaft? Nein, da gibt es nichts zu liken.
Ich will das alles nicht mehr hören. Und kann das alles auch nicht mehr lesen. Es sei denn – warum nur? – es kommt von Nadine Fingerhut. Die läuft noch nicht ganz so oft im Radio, generiert noch nicht ganz so viele Likes. Schminkt, dreht und maskiert einfach zu wenig. Dass die Nordhessin noch im Schatten anderer Protagonistinnen der deutschsprachigen Musikszene steht, liegt schon in einem sehr sympathischen, aktuell aber wenig hippen Grundanmutung der Mutter eines 12-jährigen Sohnes begründet. Man fühlt sich sofort an die wohltuende Direktheit einer Pe Werner, mehr noch eines Wolf Maahn erinnert.
Und schon formt sich ein Bild, legt sich eine Spur. Dieser Spur zu folgen ist allein schon ein Grund in ihr neues Album „Lasst die Liebe lauter werden“ einzutauchen. Um dann festzustellen, dass bei Stücken wie „Mit meinen Augen“, „Der Anfang“ oder vor allem „Vielleicht vielleicht“ natürlich nicht alles, aber viel von dem, was Maahn ausmacht, da ist: das Handgemachte, die große Erdverbundenheit. Und das Ganze gepaart mit kleiner Rauheit und noch kleinerer Dreckigkeit. Oden an das Leben, bei denen es einem endlich einmal nicht die Schuhe auszieht und die Zehennägel nach hinten krempelt. Weil das in der fingerhut’schen Spielart viel zu fahrtwindig überkommt, fast möchte ich sagen: roadmoviehaft.
Viel ist darüber zu lesen, dass Frauen „neuerdings“ alles das sein können, was Männer sein dürfen. Singen auch die ganzen Frauen im Radio, posten es auf Twitter und Co. Und hauen darüber dann doch wieder nur das Foto mit den großen Augen, dem Kussmund, der auswendig gelernten „bin ich nicht liebenswürdig?“- Mimik. Derweil Nadine Fingerhut – ihr Instagram-Account belegt es – lieber mit einem VW Bulli durch die Lande heizt, Fotos verpostet, in denen ein Kornfeld, ein Weiher, manchmal sogar eine alte Steinwand der Star ist. Es braucht keine zehn, keine fünf, ja nicht einmal einen Hördurchgang von „Lasst die Liebe lauter werden“, um zu erkennen, dass Nadine Fingerhut eine ist, die sich bei allem Optimismus mit der Unsichtbarkeit auskennt, dem Verschwinden hinter schöneren und größeren Dingen. Dem sich klein fühlen neben wichtigeren, lauteren Menschen. Vielleicht ist es auch das, was mich mit ihr verbindet.
Warum ich mich einreihe in die Schar jener Menschen, die sie einmal live erlebt haben und dann nicht mehr vergessen konnten. Wollen wir den Ball mal schön flach halten. Natürlich ist das hier nicht Mogadischu oder die Bronx. Es ist nicht einmal Berlin-Kreuzberg. Wie ich stammt Nadine Fingerhut aus der tiefsten westdeutschen Provinz, wuchs in guten Familienverhältnissen aus, hat Abitur. So privilegiert wir beide global gesehen also sind, so verreckt an diesem Leben wären wir beide fast. Denn in der Provinz fand sich auch für die aufwachsende Nadine wenig von Wert, derweil wir beide Schwestern hatten, die derart laut und impulsiv waren, dass es uns – es liegt eine zwangsläufige Folge darin – still, introvertiert, ohne Selbstvertrauen und nahezu ohnmächtig werden ließ. Dass solche Menschen ihr Abitur mit 100 Fehltagen und einem Schnitt von 3,7 – auch das trifft auf uns beide zu – gerade noch so eben abschließen ist noch immer privilegiert, aber eben auch ein erstes Warnzeichen. Da trennten sich die Lebenswege dann aber auch. Nadine wurde erst übergewichtig und depressiv, ich bipolar. Sie schließlich Musikerin, ich Schriftsteller. Es ging nicht anders, es musste sein. Weil wir nur auf diese Weise an etwas gelangten, was wir in unserer Kindheit, Jugend und im jungen Erwachsensein nie entwickelten: eine eigene Stimme. Ein Bewusstsein dafür gehört zu werden, so wir nur den Mut haben etwas zu formulieren, uns damit auf eine Bühne zu stellen, die Scheinwerfer, die Blicke, diese gottverdammte Erwartungshaltung nicht nur zu ertragen, sondern auch immer wieder neu zu suchen.
Was Nadine Fingerhut von anderen optimistisch klingenden Musikerinnen ihrer Generation unterscheidet, ist, dass sie sich – gemeinsam mit ihrem Produzententeam Erik Regul und Frank Wesemann – entschieden hat ihr Album gewissermaßen zu einem Tanz in der Lebenspfütze werden zu lassen. Nadine ist keine, die sich unnötig lange in Jammertälern aufhält, auch das selbstverliebte sich suhlen in just jener Lebenspfütze ist ihr fremd. Nadine ist vielmehr die Frau mit dem Kleid und den Gummistiefeln. Die, die bei einem neuerlichen Regenguss den Regenschirm aufspannt, sich hüpfend und summend von Lache zu Lache bewegt. Gene Kellys „Singing in the rain“, revisited, gewissermaßen. Wie schon auf ihren vorherigen Alben ist Nadine auch auf dem grundoptimistischen „Lasst die Liebe lauter werden“ erneut klug genug sich all die kleinen Traumata der Vergangenheit nicht nehmen lassen zu wollen. Gar nicht erst zu versuchen an ihrem Sein herumzudoktern. Was Nadine zu einer Musikerin werden lässt, die sich schlichtweg weigert, den Hörern jene so unerträglichen abgeklärten Botschaften einer Frau zu vermitteln, die das mit der Selbstzufriedenheit und das mit dem Glück geschafft hat. Wo andere aus ihrem Elfenbeinturm herab dozieren, gesteht Nadine Fingerhut ein, gibt unumwunden zu. Auch darum lässt sich in den Songs nicht nur ein Hauch von Maahn, sondern auch von Udo Lindenberg und nicht zuletzt Philipp Poisel spüren, die sich wie Fingerhut der bitteren Tatsache bewusst sind, dass das eigene Heute stets die Summe aller vergangenen Tage ist. Und kein mathematischer Kniff der Welt sie von der Herausforderung befreien wird, sich der eigenen Dunkelheit Tag für Tag wieder zu stellen. Nein, Nadine Fingerhut läuft nicht ganz so oft im Radio. Und kassiert nicht ganz so viele Likes. Was ein logisches Resultat ist, das Ergebnis einer Addition aus unoptimiert plus entwaffnend plus authentisch. Doch besang ein Literaturnobelpreisträger und Liederschmied nicht auch einst die Zeiten, die sich nicht nur irgendwann einmal ändern, sondern gerade jetzt, hier und heute, so wir nur richtig hinsehen, hinhören, zugreifen? Da geht was bei Nadine Fingerhut. Für sie, für uns, für alle. Na, da hätte ich auch eher draufkommen können.
Stimmt, sie läuft nicht ganz so oft im Radio. Bei uns schon öfters, mein Kollege, der Michael, interviewte sie sogar. Eine tolle Sängerin/Songwriterin. Und zwar im Radiobase (https://radiobase.de/), LG Lotar