David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Wonschewskis Liedermachertipp: Nadine Maria Schmidt & Frühmorgens am Meer – „Lieder aus Herbst“

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von David Wonschewski

Oh ja, das hat ein „Geschmäckle“: da setzt sich ein Schriftsteller hin, um über das neue Werk einer Musikerin zu parlieren – und hat offenbar erstmal nur sich selbst im Sinn. Nun, im Falle von Nadine Maria Schmidt und vor allem im Falle ihrer neuen CD „Lieder aus Herbst“ gebietet sich dieser streng subjektive Zugang jedoch geradezu, erscheint mir diese Musikerin, mit der ich schon diverse Veranstaltungen aus Literatur und Musik durchführen durfte, doch längst so etwas wie mein weibliches Charakter-Pendant zu sein. Den Stücken ihres Debütalbums „Blaue Kanten“ wohnte mehrheitlich eine poetisch-zerrissene Düsternis inne, die tiefbrüchige Intensität ihrer Stimme erinnert bisweilen an durch alle Berge und Täler einer Frauenexistenz geschrittene Künstlerinnen wie Marianne Faithfull. Lustig – geht definitiv anders. Und doch, begegnet man Nadine Maria Schmidt außerhalb ihrer Musik, so offenbart sich eine der vielleicht positivsten und herzwärmsten Seelen der aktuellen Liedermacherszene. Ein scheinbarer Widerspruch, der mitunter Stirnrunzeln verursachen kann und der auch mir geläufig ist, der ich in freier Wildbahn doch wesentlich öfter beim Witzeln beobachtet werde als es meinem Roman „Schwarzer Frost“ beispielsweise zu entnehmen ist. Ein Roman, der hinsichtlich der nun erscheinenden „Lieder aus Herbst“ und einer subjektiven Rezension aus meiner Feder nun nicht nur genannt werden darf, sondern genannt werden muss, gehörte Nadine Maria Schmidt seinerzeit doch zu den ersten Leserinnen dieses Buches rund um Depressionen und Suizidgedanken. Lange habe ich nicht mehr daran gedacht, hatte verdrängt, dass diese ebenfalls durch die emotionalen Niederungen des Lebens streifende Künstlerin meine literarischen Einlassungen als „schwer wie Beton“ einstufte. Doch nun, ihre „Lieder aus Herbst“ in den Ohren, fallen mir unsere wenigen Gespräche zu dem Thema wieder ein, nimmt sie, wenn auch selbstredend ungewollt, den Gedankenfaden an just jener Stelle wieder auf, an dem ich ihn selbst mit Ende des Romans seinerzeit fallen ließ. Ein Mensch am Ende aller Wege. Unfähig mir selbst auch nur irgendein anderes Ende vorzustellen.

nadine-maria-schmidt-lieber-aus-herbst-04Nein, zu behaupten, dass mein „Frost“ auch nur den kleinsten Anteil an ihren neuen Stücken gehabt haben könnte, wäre schlichtweg überkandidelt und falsch. Richtig und nahezu beglückend an der neuen Platte ist jedoch, dass sie inhaltlich wie eine Antwort auf das dunkeldüstere Phänomen der Depression erscheint. Eine Alternative umzugehen mit all den schwarzen Gedanken, die uns beherrschen. Dem Hauptcharakter in „Schwarzer Frost“ gelingt genau das nicht, er geht letztendlich kaputt an seiner Antwort- und Kommunikationslosigkeit. Nadine Maria Schmidt jedoch, die meistert sie, diese horrende Herausforderung Worte zu finden für jene, die gedanklich längst dabei sind sich durch die Hintertür aus dem eigenen Leben zu verabschieden.

Bereits der Opener „Im Herbstwind“ erweist sich hier als oblomowsches Aufrüttellied, passt er doch exakt jenen haarfeinen Moment ab, in dem aus einer Lethargie Depression und Selbstaufgabe zu werden droht. Die Vergänglichkeit und das schlussendliche Erlöschen des Menschen sind hier immanent und werden dankenswerterweise auch von Nadine Maria Schmidt nicht in Frage gestellt – und doch schafft sie es mittels Ohrwurm diese Erkenntnis anstatt in Leid in Ausgelassenheit umzumünzen. Ein Lied, so leicht wie der besungene Herbstwind, zugleich jedoch so intensiv wie das unabwendbare Ende aller Tage.

Ähnlich geht es in „Das Meer von unten“ zu, einem klaren Highlight des Albums. Ein – man kann es nicht anders sagen – unsagbar düsterer Song, der von nicht weniger als der ewiglichen Sehnsucht nach Leben kündet. Das Stück lässt sich Zeit, zunächst hören wir eine halbe Ewigkeit der Brandung des Meeres zu, bevor sich ein Lied entspinnt, das gedanklich sogar als Fortführung des ersten Liedes betrachtet werden darf, nämlich den Fall widerspiegelt, in dem jene Aufforderung zum Tanz auf taube Ohren gestoßen ist, nicht gefruchtet hat. Der Mensch, der aufgerüttelt und gerettet werden sollte, nein, er hat sich einfach nicht retten lassen wollen. Und ist stattdessen lieber ins Meer gegangen, nicht mehr zurückgekehrt. Zwar lässt Nadine Maria Schmidt offen, ob es sich hier um einen Suizid handelt oder ob da jemand zum Opfer seiner verzweifelten Suche nach dem nächsten Kick geworden ist, unterm Strich bleibt es jedoch die Müdigkeit des Lebens, der sich die Liedermacherin hier widmet. Gerade die fein austangierte Wortwahl ist es hier, die zu beeindrucken weiß, denn Nadine Maria Schmidt kritisiert den ins Wasser gegangenen nicht, sie klagt nicht an, ja sie scheint ihn fast ein wenig verstehen, nachvollziehen zu können. Bekommt den Bogen zu einer positiveren Sichtweise aber nicht, wie so viele andere Texter, in dem sie die große Umkehr oder das große Umdenken propagiert, ein weiteres abgespacktes „das Leben ist klasse“ runterleiert, sondern einfach ein wenig den Fokus verschiebt, aufzeigt, wie ein vermutlicher Selbstmord als dunkle Saat in die Hirne aller Nachgeborenen gesetzt wird. Da ist die Verzweiflung, da ist das weite, offene Meer, sicherlich. Da ist aber auch ein Strand und an diesem Strand steht jemand und schaut hinaus auf dieses alles und jeden verschluckende Meer.

nadine-maria-schmidt-lieber-aus-herbst-01Bereits mit diesen ersten beiden Stücken, „Im Herbstwind“ und „Das Meer von unten“, wird klar, welche Ausnahmestellung dieser Platte in textlicher Hinsicht zukommt. Denn Nadine Maria Schmidt gelingt hier nicht weniger als der Balanceakt einer Frau, die jederzeit bereit zu sein scheint ebenfalls weit hinaus aufs Meer zu schwimmen, sich fortziehen, sich verschlucken zu lassen – und doch zugleich eine am Strand Zurückgelassene zu sein, eine Trösterin, einer Handhalterin, eine doch viel lieber Lachenwollerin. Und so erzählt sie uns in den meisten (nicht allen!) Stücken zwar von gescheiterten Existenzen, doch vollbringt sie das in einer luftigen, sachten Sprache. Sie überfrachtet ihre Lieder nicht mit psychoanalytisch ausufernden Erklärbäranalysen, sondern tupft ihre Charaktere mit mal verzaubernder, mal beschwingender Unterstützung von Posaune, Klavier, Cello, Glockenspiel, Bansuri und Akkordeon in den titelgebenden Herbstwind, reißt sanft an, nähert sich behutsam – und lässt gerade dadurch all den an ihrer eigenen Existenz Leidenden, von Scham Zerfressenen, an ihrer eigenen Stummheit zu ersticken Drohenden („Und keiner hat’s gemerkt“), ihr Gestern so verzweifelt zu vergessen Versuchenden („Dshamilja“), kurzum: allen, denen sämtliche Perspektiven abhandengekommen sind („Im Herbstwind“, „Alter Mann – was nun?“) ihre Selbstbestimmtheit und Würde. Ja, Nadine Maria Schmidt tröstet wie wohl noch niemand getröstet hat, versucht mittels kaum merklicher Stupser und eines leisen „Hey“ umnachtete Gestalten ins Leben zurückzuziehen. Sanft und sensibel zupft sie alle, die bereits auf dem Fenstersims, auf dem Brückengeländer, auf dem Dach der Sporthalle stehen am Ärmel. Sagt nicht viel, gibt nicht einmal zu bedenken. Sondern, tja, pustet einfach nur, lässt sich und ihre Songs Herbstwind sein, tragend, sehnend, hoffend, niemals bedrängend. Dass ihr genau das ohne die abgedroschenen CarpeDiem-Floskeln der Glückskeksgesellschaft gelingt ist die fast schon unfassbare Leistung dieses Albums.

Sicher, so wir zwangsneurotisch nach dem Haar in der Musiksuppe suchen wollen, so stellen wir fest, dass gleich eine ganze Reihe von Bildern geradezu penetrant oft bedient werden auf der Platte: Haar, Sonne, Mond, Kind, alter Mann, Meer, Licht. Wie ich offen gesprochen auch den Überblick verloren habe über die in den vergangenen Jahren brachial angewachsene Zahl von Liedermacher-Stücken, die Schiffskapitäne zum Inhalt haben. Doch wie jedes vermeintliche Contra-Argument lässt sich auch dieser Umstand selbstredend aus einer anderen Perspektive betrachten, ist es doch gerade diese naturverbundene, fast schon traditionelle „Feuer, Wasser, Erde, Luft“-Mentalität, die den beruhigenden Grundcharakter des Albums überhaupt erst möglich macht. Der Mensch als integraler Bestandteil der Natur, aufgehend und lustvoll verglühend im sich reibenden Spiel der Elemente, der Welt, des Universums. Einem Spiel, das größer, das erhabener ist als wir. Und das genau in dieser emotionalen Einordnung aus der Ferne sogar Lars von Trier und sein Untergangsepos „Melancholia“ winken lässt, so ab und an.

Drehen wir das eingangs benannte Szenarium also einfach um: Was wäre aus dem Hauptprotagonisten aus „Schwarzer Frost“ wohl geworden, hätte er anstatt von jenem Lohwald Besuch von Nadine Maria Schmidt erhalten? Und anstatt eitel daher zu quatschen hätten sie einfach die Klappe gehalten und diese „Lieder aus Herbst“ laufen lassen?

Eine wunderbare, eine kraftspendende Vorstellung. Geboren aus einem gemeinsamen Bekenntnis, einer gemeinsamen Faszination für die Vergänglichkeit des Lebens. Das Herunterfallen von Blättern, das Werden zu Laub.

Fotos Nadine Maria Schmidt oben: Corwin von Kuhwede

„Lieder aus Herbst“ von Nadine Maria Schmidt (VÖ: 26.September 2014) / Mehr Informationen: HIER.

Weitere Informationen zu „Schwarzer Frost“ von David Wonschewski: HIER.

 

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