Mein sanfter Opa hatte eine schwere Kindheit und Jugend. Geboren als unerwünschtes Resultat eines Stelldicheins eines polnischen Großgrundbesitzers mit einer Magd, fristete er seine ersten Lebensjahre als eine Art männliches Aschenputtel: Du lebst zwar hier, aber du gehörst nicht dazu! Besser wurde es für meinen sanften Opa erst als sich in Deutschland der Wind drehte. Endlich fand er Freunde, Menschen, die ihm zeigten, dass sogar er wertvoll ist, Respekt verdient. Und vor allem: gebraucht wird. Mit 16 rannte mein sanfter Opa fort vom Hof, mit 17 kehrte er zurück. Ausgestattet mit ein paar Insignien der neuen Macht, weitreichenden Befugnissen der Partei. Und einer Schusswaffe.
Mein Vater hat nie herausbekommen, was mein sanfter Opa genau tat, nach seiner Rückkehr, dort auf dem Hof seiner Kindheit, mit den Menschen seiner frühen Jugend. Die einzige noch lebende Augenzeugin, die er Ende der 90er Jahre auf einer Polenreise ausfindig machen konnte, wollte sich dazu nicht äußern. Aufgeräumt habe mein sanfter Opa wohl.
Mir war beim Erwerb von “Die Sanftmütigen” nicht klar, dass Angel Igov letztlich die Geschichte meines Opas erzählt. Selbe Zeit, nur halt Bulgarien. Und nicht die Nazis räumen auf. Es sind die Kommunisten, hier der junge Waise Emil Strezov, die die Gegend nach echten und auch nur erdachten Faschisten durchkämmen. Urteil sprechen.
Knapp 100 Seiten habe ich gelesen, ein intensives Buch, dass die Banalität des Bösen beleuchtet. Und hervorragend aufzeigt, warum junge Männer sehr oft, junge Frauen manchmal zu heftigen Gedanken und Schritten neigen, radikal werden. Mit Politik hat das wenig zu tun. Es ist die immergleiche Sehnsucht nach Sinnhaftigkeit, die uns extrem werden lässt.
Und, was lest ihr gerade so?
Viele Grüße,
David Wonschewski