von Anne Drerup
(dieser Text erschien ursprünglich auf meinem Liedermacherportal ein-achtel-lorbeerblatt.de – da diese Seite bald geschlossen wird, sichere ich ihn hier für die Nachwelt)
Man kann die TEEater-Gründungsmitglieder Thomas Scharrschmidt (Komponist und Musiker) und Martin Miersch (Texter und Musiker) nur zu der Idee beglückwünschen, nach 20 Jahren Pause und mit neuem Schwung die in Ostberlin (DDR) zu Beginn der 1980er Jahre entstandene Liedtheatergruppe wiederzubeleben: Nach erfolgreicher Zeit mit den eigenen Liedern und Stücken in DDR und Osteuropa, freilich nicht, ohne textlich aufzufallen und anzuecken, hörte die Gruppe 1989 in den Wirren der Zeit auf zu existieren.
Mit den neuen Mitgliedern Andrea Heuer (Gesang, Saxophon, Flöte), Marion Kruggel (Violine, Gesang) und Ingo Dietrich (Musiker, Komponist) sowie der im Booklet erwähnten Cordula Stipp (Gesang, Akkordeon), Matthias Woest (Gesang,Gitarre) und dem Gast für zwei Stücke D.-Mercedes Wendler (Saxophon, Bassstimme) können sie an ihre Erfolge anknüpfen. Und dies eben nicht nur in ausgezeichneten Programmen wie „Stille Wasser“ (2010), sondern auch mit ihrer ersten CD „Alles“, die im November dieses Jahres erschien.
Eine Musik mit Texten, die man freilich nicht „einfach so nebenbei“ hören kann, sondern die Aufmerksamkeit auf sich zieht, zuweilen verstört, aufrüttelt, zum Nachdenken anregt. Beginnend mit dem Stück „Die Nachtharfe“, das nach Einzählen und einem langen Intro im gleichbleibenden Gitarrenrhythmus ruhiger wird und eine gewisse mittelalterliche Stimmung erzeugt, über das zeitlose Thema Traurigkeit in der Nacht, bis man über das Weinen einschläft, geht es weiter mit dem sozialkritischen „Underground“. Hier lässt das Saxophon-Intro schon eine gewisse Klage bzw. eine sich stets wiederholende Elendsspirale vermuten, und tatsächlich handelt es sich um das Armutsleben im Untergrund der Stadt, wobei die Gruppe immer größer und alle Mitmenschen immer gleichgültiger dem gegenüber zu werden scheinen: „Was zurück bleibt, nimmt sich einer, und kein Lotterbett bleibt frei, hundert geh’n und tausend kommen, könn‘ auch abertausend sein.“ Es bleibt nichts Erinnerungswürdiges, jeder lebt vor sich hin und betäubt sich mit Liedern aus vergangenen (besseren?) Zeiten. Eine ähnliche, wenn auch eher selbstkritische Stimmung drückt „Am Arsch der Welt“ aus, denn es klagt über verpasste Chancen und „ungelebtes Leben“: „Es gibt so viele Lieder, die noch keiner geschrieben, ungesagt so Vieles, vom Winde verweht. Ich fühle mich schuldig, hab’s mal wieder vermasselt, so leb ich mein Leben, am Arsch dieser Welt.“
Ob die Liebe einen Ausweg bietet? In „Madrid 1938: Lied einer spanischen Hure“ im Stile spanischer Tanzmusik wird um einen „Genossen“, wahrscheinlich einen Soldat im Krieg, geworben, und dazu aufgefordert, sich ganz auf den Moment und die Frau einzulassen und alles andere zu vergessen. Ein Liebeslied im Klang eines Minnesängers ist „Kuss“, dessen abgedruckter Text im Booklet durch das nebengestellte Gemälde, eine Frau im Arm eines Skeletts, sehr befremdlich wirkt. Überhaupt sind zu allen Liedern Kunstwerke für das Booklet gewählt worden, außer bei „Wenn der Friedrichshain brennt“, wo ein Demonstrationsfoto eingearbeitet ist. Die Demo, die eigentlich friedlich beabsichtigt ist, wird durch die Medien, durch eingesetzte Wasserwerfer und das Verjagen vernünftiger Vermittler zur Gewalt aufgeputscht. Dabei wirkt alles wie eine Inszenierung, so wie es die Oberen wohl gerne sehen oder als Argument für ihr Verhalten nutzen wollen.
Unterstützen könnte sie dabei das „Lachen“, das den falschen Schein und die viel zu tief verborgene Wahrheit überspielen soll: „Das Dunkel öffnet den Rachen // Lachen, Freunde, immer nur Lachen!“ In den Strophen werden vor allem Scheinheiligkeit, falsche Priester und aufgemunterte Krieger kritisiert, die eigentlich ganz genau wissen, dass sie ihr Leben in der Schlacht lassen werden. Das „Lied von der Schuld“ zeigt in diesem Zusammenhang die Verantwortung eines jeden einzelnen und kritisiert Schuldzuweisungen aller Art, die es bequem machen, sich selbst in einem besseren Licht zu sehen: „Such nicht den, der Schuld an allem, schieb die Schuld nicht andern zu // Such nicht den, der Schuld an allem, alle haben Schuld – auch du!“ Tröstlich ist dabei vielleicht nur, dass alles „Vorübergehend“ ist, selbst „der Kelch, wenn du Glück hast, geht vorüber.“
Dennoch gehört auch der Tod zum Leben und in dem schaurig-schönen Lied über die Schatten und ihr Reich findet er in „Unter den Kastanienbäumen“ Platz – wenn auch nicht auf den ersten Blick. Eindeutiger und realer wirken da die „Stimmen der Nacht“, die sich aus dem zusammensetzen, was sich während der Nacht tut, das kann schrecklichste Not, Verbrechen, aber auch der Alltag von Arbeitern und Obdachlosen sein. Die ruhig anklingenden Wünsche an den „Mond“ lassen Kritik am Konsumterror erkennen („Alles haben tötet Träume. Alles reduziert sich auf den Preis. Bunte Werbung füllt die leeren Räume. Autos, Jeans und Schokoladeneis. Jeder Werbespot wie ein Versprechen, das dich in den Einkaufstempel rief, nichts zu kaufen, wäre ein Verbrechen, jeder Kauf ein neuer Ablassbrief.“). Dieser steht wohl mit im Weg, dass man sich die Fragen im Titelsong „Alles“ nicht stellen braucht: Ein Lied über unerfüllte gute Absichten – was man alles könnte, aber doch nicht tut, vielleicht aus der Resignation heraus, als einzelner doch gar nichts bewirken zu können. Ein Grund, erst gar nicht mit Veränderungen zu beginnen? Diese Frage kann wohl nur jeder Hörer selbst für sich beantworten.
Wie bereits angesprochen handelt es sich bei der CD „Alles“ von TEEater um anspruchsvolle und vielseitige, manchmal bewusst anders klingende Musik mit starken Texten, die Aufmerksamkeit verlangen, diese aber auch verdienen. Interessant wäre sicherlich, die Gruppe auch einmal live auf der Bühne zu erleben. Bei Martin Miersch und Thomas Schaarschmidt wird dies in diesem Jahr noch bei dem Silvester-Musical in Zusammenarbeit mit Daniels Probebühne in Peternhagen möglich sein (für genauere Infos und Tourdaten siehe www.teeater.org).