von David Wonschewski
Eigentlich möchte man Lennart Schilgen erstmal auf die blöde Tour kommen. Denn richtig ist, dass er mit „Shouter“ – ein satirisches Stück über einen Frontmann einer Black Metal Band – einen veritablen Kleinkunsthit geschrieben hat. Das aber leider vor Fehlern nur so strotzt. Denn dass sich Black Metal Bands vor allem mit „Gedärmen“ auseinandersetzen, mag zur Pointe taugen, strotzt de facto jedoch vor Unkenntnis über die inhaltliche Tiefe dieses häufig so unverstandenen Genres. Wie auch der Begriff „Shouter“ als solcher zwar keinesfalls falsch gewählt, aber in Genrekreisen komplett unüblich ist. Man gebe zur Überprüfung einfach einmal die Begriffe „Shouter“ und „Black Metal“ in die geheiligte Suchmaschine ein – anstatt ein who is who potentieller Szenegrößen erhält man vor allem Verweise auf Schilgen, was ebenfalls nicht für die Recherchefähigkeit Schilgens spricht.
Leider aber, und hier bekommen wir den Turnaround hin, ist das Stück dennoch gut und keineswegs an den Haaren herbeigezerrt, steckt in jedem Ruf nach Gewalt doch auch eine Quäntchen Hoffnung auf Zärtlichkeit, wie von den Ärzten („Schrei nach Liebe“) bis hin zu der ungestümen Hardrock-Combo Kansas („Dust In The Wind“) unfehlbar belegt ist. Exakt diese Diskrepanz ist es, mit der Schilgen gekonnt spielt, diesem Zwiespalt aus Schein und Sein, aus Wirken und Sehnen.
Schilgen, der fraglos in die Phalanx der Liedkabarettisten einsortiert werden kann, lebt hier – und in weiteren Stücken seiner CD „Engelszungenbrecher“ – vor allem davon, dass er eher brav aussieht und zu einer tatsächlich engelshaften Stimmerhöhung fähig ist, all das aber hemmungslos auf auf all das krachen lässt, was man ihm im ersten Schritt gar nicht zutrauen möchte. Und im zweiten Schritt sich nicht einmal selbst zutraut, egal um wieviel wilder man womöglich ausschaut, um wieviel gegerbter das eigene Organ. „Revolution“ ist so eine Nummer, die dem Bewusstsein vieler Kleinkunstbesucher noch besser auf die Schliche kommt als der „Shouter“. Schon Konstantin Wecker hatte sich an dem Versuch verhoben einem Lied diesen Titel zu geben, im Gegensatz zu ihm bringt Schilgen das Stück aber vorsätzlich zum Kentern, entlarvt die Behaglichkeit in uns, die uns denken lässt wir wären bereit, derweil wir doch nur in unseren Sesseln sitzen bleiben.
Die CD, die live in Sebastian Krämers Zebrano-Theater aufgenommen wurde, zeigt sehr klar, was Schilgen, der mit seiner Band „Tonträger“ längst arg gut ausgebuchte Shows an fulminanten Orten wie der „Bar Jeder Vernunft“ fährt, über eine erträgliche Lust an Interaktion mit dem Publikum verfügt. Und an der Lust sich nicht in formale Korsagen pressen zu lassen, zwischen Lyrik, Lied, Anspruch und Comedy umherzuspringen.
Er kann das, Schilgen live zu erleben ist eine der besseren Ideen, die ein Mensch im Laufe des Jahres haben kann. Der Mann tut das, was man von ihm erwarten sollte, er unterhält, bestens. Im Liedermacher-Kontext aber fehlt den Songs oftmals doch die Tiefe. Selten überrascht Schilgen so gekonnt wie in „Lea“, dessen Refrain-Pointe hier nicht vorweggenommen werden soll. Und selten noch beweist er wahren Mut.
Richtig gut wird er dann, wenn er einen ausgetretenen Pfad neu beschreitet. „Kinderlied“ heißt ein Song, der davon handelt inwiefern wir Kindern bei Ihren eigenen „Versuchen“ gut zureden anstatt ihnen schonungslos zu gestehen, wie unzureichend das alles doch ist. Sebastian Krämer hat bereits einen nahezu perfekten Song dazu („Du hast einen Drachen für mich gebaut“), Falk überdrehte es mit seinem eigenen „Kinderlied“ um diverse Groteskstufen – Lennart Schilgen trotzt dem Thema, man glaubt es kaum, noch eine Nuance ab. Es ist exakt dieses Lied, weit hinten „versteckt“, das zeigt, dass Schilgen die in ihm veranlagten Entertainer-Qualitäten durchaus mit Songs zu füttern wüsste, die Gedankengrenzen sprengen. Man darf hier nicht vergessen dass Schilgen erst 28 ist und bisher im Bandformat seiner „Tonträger“ auftrat – mehr von dem Mut, den er in Song wie „Kinderlied“ beweist, wird ihn locker zu Größerem führen.
„Engelszungenbrecher“ ist ein ziemlich cooles Album für Genre-Freunde, die nacherleben wollen wie der holperige Aufstieg von einem begann.
Paast scho. Herrlich deine K.Wecker Ohrfeige. Nur zur Berichtigung: Saturierte oder arrivierte (vorwiegend) Beamte mögen das schon sein. Richtig oben sind die aber auch nicht: So Chefetage in Konzern x oder y … DIE hören bestimmt keinen Wecker, also den Konstantin.
Und dieses früher war alles … das beschleicht mich durchaus, wenn ich diesen ganzen Winsel-Pop “genießen darf”, weil gewisse jüngere Familienmitglieder im Hause sowas mögen. Nur kann ich meines Vaters Lieblingsargumente “Hottentottenmusike” usw. ja nicht auf Weiß, Singer und Konsorten anwenden.
Und dieser Tage habe ich mich mit Kunzes Spätwerk bejutubt. Großes Schulternzucken meinerseits. Gestern geriet mir dann seine “macht Musik”von 1994 in den Player – tja und da zerdrückste dann eben ein Tränchen…
Ich sollte vllt mal neuere Namen checken, aber ich will gar nicht mehr: das endet nach ein oder zwei guten Einstiegsstücken eher im Nichts.
Du willst doch nicht etwa behaupten, dass früher alles besser war, oder? ; – ))) Tja, bin mir nicht sicher, ob man das durch die Bank so sagen kann. Sebastian Krämer beispielsweise kriegt für mich schon den Balanceakt hin deutschsprachig, chansonesk, tief und mitunter wahnsinnig lustig zu sein (so man denn witzig als positiven Wert verstehen möchte). An der Klugscheißerei kann mitunter was dran sein, wobei ich das anders formulieren würde: dieses Predigen zu den eigenen, eh überzeugten leuten. Götz Widmann ist einer der wenigen, die das vielleicht bei Drogensongs machen, aber ansonstne kriegt der von links und rechts eins auf die Fresse. Konstantin Wecker hingegen stellt sich auf die Bühne in BaWü, vor der Halle stehen die dicken Karren der sehr gutsituierten Endfünfziger im Saal, Wecker sagt “wir alssen uns das von denen da oben nicht gefallen!” und alle so: “Jaaaa…Revolutioooon!!!”. Dass die Zuschauer eines Konstantin Wecker-Konzerts ja “die d aoben” sind kommt selten in seinen Ansagen vor.
Warte mal, von Opeth hab ich doch auch noch was im Schrankerl stehen….
Herrlich zutreffende “Shouter” – Songfehleranalyse. Hab ich mir angehört. Interesse an dem Herrn ist nicht entstanden.
Ja, das sind so die Gründe, weshalb ich mich von dieser Sorte Liedermacherkram weitgehend verabschiedet habe. Selbst Kunze und Maurenbrecher machen inzwischen einen schabloniert ausgelutschten Eindruck.
Während ich von den 70ern bis weit in die 90er noch originelles Zeug finden konnte, ist es nun damit vorbei: Klugscheißerei, basierend auf ein paar aufgeschnappten Wahrnehmungen funktioniert halt nicht.
Bin allerdings schon halbgetröstet, dass sich Schilgen allem Anschein nach auf ein paar Gruselcoverfotoeindrücke (Cannibal Corpse usw.) zu beziehen scheint (Gedärm) und nicht gleich die Nazi-Keule schwingt, weil es da ja auch den NSBM am Rande gibt.
Aber da sind eben im BM nebenher auch die intelligenten Alben von Opeth, Amorphis usw. oder gar die Weiterentwicklung des Post-Rock zu finden – und wenn Freunde dieser Mugge diesen Song hören, dann zucken sie halt die Schultern und grinsen über den Softie,der da glaubt, Bescheid zu wissen – und ich winke mit ihnen ab.