von David Wonschewski
Eine CD, die von hinten so aussieht wie eine meiner Lieblingsplatten (Editors – „The Back Room“, 2005) von vorne, kann so schlecht schon einmal nicht sein. Und wenn sie dann noch von einem Mann stammt, von dem ich menschlich und künstlerisch so viel halte, dass es schon zu einer ganzen Reihe von Kollaborationen kam, na dann ist ja alles in bester Butter. Und nur noch zu klären wie objektiv eine Besprechung von „Teil Eins“ sein kann, so sie nun ausgerechnet aus meiner Feder stammt.
Um zumindest diese Frage direkt zu beantworten: Kein Stück objektiv kann sie sein. Und doch möchte ich es gerne in Ansätzen versuchen.
Was mich seit einigen Jahren in höchstem Maße an Andreas Albrecht erfreut ist seine ganz spezielle Mischung aus Verpeiltheit und Verspieltheit, Verzettelung und Verzerrung. Viele Musiker behaupten so gern von sich, musikalisch nicht festzulegen zu sein – auf Andreas Albrecht trifft es zu. Sieht man einmal davon ab, dass er sich zuvorderst der deutschen Sprache verschrieben hat, finden sich in seinem musikalischen Oeuvre Anteile von Liedermacher, Chanson, Schlager, Pop, härterem Rock, Indie und Experimental. Kurz gesagt: Ein Frickler vor dem Herrn, ausgestattet mit 1001 Ideen.
Dementsprechend spannend war es für mich zu sehen, ob es ihm diesmal gelingt, seiner vielen Ideen selbst Herr zu werden, ist doch das gemeinhin die schwierigste Aufgabe des vielseitig Begabten – eine Platte wie aus einem Guss zu formen.
Betrachten wir uns die Gestaltung von Cover und Booklet, so dürfen wir uns auf eine zuvorderst griesgrämige Angelegenheit gefasst machen. In bester HipHop-Gang-Manier marschieren Andreas und Band hier auf, stellen sich mürrisch in Pose am Berliner S-Bahnhof Schönhauser Allee. Eine dunkle Vorahnung, die der Eröffnungstrack „Endstation“ sogleich aufnimmt. Es spricht bereits Bände ein Album mit einem solchen Titelnamen zu beginnen und Albrecht gibt sich wenig Mühe diesen Eindruck sofort zu zerstreuen. Auch wenn die Nummer ein wenig an „Im Keller“ von Tocotronic angelehnt zu sein scheint („Hey, hey, hey, jetzt bin ich alt, hey, hey, hey, bald bin ich kalt“, 2013) entwickelt sie schnell ein widerspenstig-rockiges Eigenleben, dessen Clou allerdings weniger in der Musik als denn im Text zu finden ist. Albrecht und seine Kumpanen sind schließlich keine 20, auch keine 30 mehr, es tut also auch – oder gerade! – als Künstler bitter Not erwachsen zu werden, sich anzupassen, sich einverstanden zu erklären mit diesem und jenem, Burgfrieden zu schließen. „Kalt“, wie Dirk von Lowtzow ehedem sang, ist hier niemand, eher im wahrsten Sinne des Wortes im Mainstream, dem Hauptstrom angekommen.
„Jetzt haben wir Kiemen, jetzt haben wir Flossen / Und euch da oben ziehen wir nach unten / hier hilft kein Schwimmen, hier hilft nur Tauchen/ Und eure Feuer können hier nicht Rauchen“.
Unterwanderung als Ziel. Ein Song wie eine Drohung.
Was folgt ist „Schwarzer Frost“, ein Lied, zu dem ich nicht allzu viel sagen möchte, da es entstand nachdem Andreas meinen Debütroman „Schwarzer Frost“ gelesen hatte. Nur so viel: Der intensive, musikalisch betont auf der Stelle tretende Song vertont die Qual, die jeder kennt, der nicht mehr lebt, längst vegetiert. Und sich nach nichts so sehr sehnt wie einem: fort von hier! Ein Lied wie ein Abschlussplädoyer, das auf manch desperater Melancholikerplatte mit Sicherheit einen guten Endpunkt gebildet hätte. Diesen Weg möchte Albrecht aber nicht gehen, wie er im sich anschließenden „Implantate“ sehr gekonnt zur Schau stellt. Waren der Hörer bei den ersten beiden Stücken noch bereit sich gegebenenfalls die Pulsadern zu öffnen, halten nun sommerlich anmutende, flott zu tanzende Strandrhythmen Einzug. Ein zynischer Song, in dem Albrecht den Faden aufgreift, den er im Anfangsstück „Endstation“ bereits gesponnen hatte:
„Ich laufe durch ein Leben und mach es mir bequem / leidensdruckerzeugte Kühle, gepolsterte Gefühle // Ich laufe durch ein Leben und fühl mich aufgeklärt, manchmal beschleicht mich ein Gewissen, doch für ein schlechtes bin ich zu gerissen“
Der geeichte, genordete und sich einordnende Mitbürger als gutgebräuntes, sich keck in den Hüften schwingendes Ekelpaket. Und es scheint als hätte sich tatsächich ein kleines Fenster geöffnet, das zunehmend Luft und Sonne einlässt in „Teil Eins“. Aus allen nicht zu bestreitenden Lebenswiderlichkeiten das Beste zu machen. Und so kippt die Platte spätestens mit der amüsanten Schunkelnummer „Knapp daneben“ und dem wirklich witzigen und noch viel wirklicher weisen „Die Masche“ – nach oben. Ja, das Stimmungsbarometer steigt, während Albrecht hier frei von Zetern und Jammern rekapituliert, dass in jedem Scheitern zugleich auch ein Erfolg liegt.
Es folgen, schön im Packerl hintereinander, die drei besten Songs des Albums: „Stilleben“, ein Lied über ein Paar, das sich nichts mehr zu sagen hat, jedoch den Punkt zur Trennung verpasst, dadurch Zeit verteibt, ist schmerzhaft schön und hilfreich zugleich. „Felix Krull“ ist punkpoppiges Geldverschleuder-Mitgegröhle in feinstem Rio Reiser Gewand:
„Komm, wir verschieben die Null, wir sind Felix Krull / Tanzen unser Lied, tanzen bis der Boden unter unseren Füßen flieht / Und ist der Boden dann Sumpf, können wir ja wild und wilder treten / Notfalls hilft auch beten, dass unter uns wieder etwas Festes auftaucht“
„Mancher Sturm“ schließlich zeigt Andreas Albrecht, wie ich denke, „at his best“. Eine fiese Nummer, die einschmeichelnd, fast schon balladesk beginnt, durch Spiel- und Produktionseskapaden gen Ende jedoch immer verstörender wird. Vollkommen aus den Fugen gerät. Lieblichkeit wandelt sich zu Zerrissenheit, kulminiert schließlich in nicht weniger als geifernden Hass:
„Warum immer dieser Zwang zum Grübeln?/ Immer dieses Gegen den Strom? Wozu?/ Irgendwann findet doch jeder seinen passenden Anzug / Die Beatles haben es vorgemacht / Und später die Grünen / Mit einem passenden Anzug hört man dir zu / Mit einem passenden Anzug gehörst du dazu / Was wir kennen das lieben wir / Genau so rum funktioniert die Natur / Genau so rum“
Hat Andreas Albrecht mit „Teil Eins“ ihn nun gefunden, seinen passenden Anzug? Die Anzeichen verdichten sich, enthält die CD doch einen klar erkennbaren dramaturgischen Erzählbogen, ohne allzu tief in die allzu verkopften Sphären eines Konzeptalbums abtauchen zu wollen. Ist vielschichtig genug, um auch nach Hördurchgang fünf bis zehn immer noch was Neues entdecken, Zeilen zum Rätseln und Dechiffrieren, Neudeuten finden zu können. Dann aber, wann immer es Not tut, erfrischend eingängig, auf dem Gang vom Wohnzimmer mit einem Fingerschnippen und einem Pfeifen nebenbei hörbar. Düster und zerrissen genug, um mein Postpunk-Herz zu erfreuen. Aufbegehrend und wütend genug, um meine ebenfalls in die Jahre gekommenen Punk-Sehnsüchte zu befriedigen. Konstruktiv gesellschaftskritisch und vehement vorwärtsblickend genug, um den Liedermacherfunken zu entzünden.
Lesen Sie auch unsere Rezension von: Andreas Albrecht – Sterne****. Und zwar HIER.
Zum Autor:
David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 18 Jahren als Musikjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, verfasste knapp 450 Rezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er ist Begründer (und nach aktuellem Stand auch Totengräber) des Liedermachermagazins „Ein Achtel Lorbeerblatt“ und saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein. Der Nachfolger „Geliebter Schmerz“ erschien Anfang 2014, der Roman „Zerteiltes Leid“ wurde im Mai 2015 veröffentlicht. 2017 erschien sein erstes Hörbuch „Das Seufzen und das Schweben“.
„Wonschewski zieht alle Register der Vortragskunst bis hin zur schrillen Verzweiflung, die sich in drastischen Stimmlagen widerspiegelt. Ironie, Sarkasmus und Zynismus – der Autor versteht es vortrefflich, diese Stilmittel zu einem höchst amüsanten Cocktail zu mixen.“ (Rainer Nix, „Westfälische Nachrichten“, 10. Juni 2015).
standing ovations für den Abschiedsbrief, großartig geschrieben und vorgetragen.