David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Die Brisanz der Belanglosigkeit. Soeben ausgelesen: Henry David Thoreau – “Walden. Ein Leben mit der Natur” (1854)

thoreau-walden

von David Wonschewski

Vorabfazit: 2 von 5 Sternen

Es gibt Klassiker, da ahnt man durchaus, warum sie zu Klassikern wurden. Allein: so recht nachvollziehen, am eigenen Leib und eigenen Geist nachempfinden lässt es sich nicht mehr. Vielleicht aus dem simplen Grund, dass im Fahrwasser jener berüchtigten “Gnade der späten Geburt” auch stets die Last und nicht zuletzt der Überdruss einer solchen existiert. Das ist so wie mit den Beatles oder den Rolling Stones, die kann man auch als in den achtziger oder neunziger Jahren Geborener noch knallegeil finden. Nachempfinden aber was es bedeutet haben muss diese Bands mit diesen Sounds und diesen Auftritten in den frühen sechziger Jahren vor Ohr und Auge bekommen zu haben, nein: keine Chance.
So in etwa ergeht es mir auch mit “Walden”, einem der wohl einflussreichsten Dauerbrenner der Literaturgeschichte. Als Kind der Achtziger, aufgewachsen mit den Grünen, Robinson Crusoe, Unsere kleine Farm, diversen Amish-FilmenBüchernReportagen und 150 SingerSongwriter-Waldschrat CDs in der heimischen Diskographie, zudem schon lange beeindruckt von Minimalisten und Frugalisten…nunja, zündet das, was Henry David Thoreau da vor knapp 170 Jahren schrieb einfach nicht mehr so wahnsinnig. Nahezu alles irgendwie schon einmal wesentlich zwingender und effektvoller woanders gelesen und gehört, besser aufbereitet, spannender erzählt.
Lesen sollte man das 1854er Werk des nordamerikanischen Philosophen Thoreau dennoch, ganz definitiv, war er doch einer der ersten, der erkannte, dass das “höher, schneller, weiter” einer von Imperialismus und Kapitalismus entfesselten Welt weder Ziel noch Weg sein kann.

Genau das ist denn doch das Faszinierende an der Geschichte des gesellschaftlich zuvor kein Stück gescheiterten Mannes, der sich tief im nordostamerikanischen Forst mit den eigenen Händen eine Blockhütte erbaut. Einfach nur, um mal “weg” zu sein, zumindest zeitweilig allen vermeintlichen Verlockungen und Chancen der Großstadt, allem Streben und Sehnen der Zivilgesellschaft temporär aus dem Weg zu gehen. Denn wenn wir uns heute, anno 2019, gestresst fühlen von Turbokapitalismus und Hyperdigitalisierung, dann malen wir uns gerne aus wie ruhig und besinnlich es doch noch gewesen sein muss um 1850, egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Und das damals doch mit Sicherheit noch so etwas wie ein echtes, ein reines, ein wirkliches und authentisches Leben möglich gewesen ist. “Pustekuchen” ruft uns Thoreau in “Walden” jedoch entgegen. Seit der Mensch dem Dasein als Jäger und Sammler entfloh und sein Heil in der Agrar-, schließlich der Industriewelt suchte, seitdem schon befindet er sich in einem Prozess der Entfremdung, koppelt er sich ab von der Natur, den Tieren und den Pflanzen, die ihn umgeben. Erschafft er sich seine stickige Eigenwelt, die alles außerhalb der Spezies Mensch unterjocht und ausrottet, einem schnelles Spezies- und Existenzende zuführt. Derweil er sich selbst zermahlen und zermalmen lässt, von Rädern, die er sich selbst erschuf. Warum und wozu? Niemand weiß es so recht.
Apokalyptisch, geschweige denn actionreich ist “Walden” natürlich keineswegs geschrieben. Wäre es das, es hätte seinerzeit vermutlich auch weitaus weniger Aufsehen erregt. Nein, Thoreau schildert nüchtern, findet hier und da manch hübsche philosophische Betrachtung und Formulierung für all das, was er sieht, was er riecht und hört, was er gewinnt, so als Einsiedler am See, zwischen Eichhörnchen und Laub. Und das war es auch schon.
Gandhi, so heißt es, habe sich auf Thoreau berufen. Die halbe 68er-Generation sowieso. Asketen, Naturschützer und Gewaltfreie dieser Welt, verneigt euch also vor dieser wahren Experimentschilderung, die nur letztlich nur in der Umschlagaufschrift als “Roman” daherkommt.

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Ein Kulturjournalist tobt sich aus – „Schwarzer Frost“, der bitterböse Debütroman von David Wonschewski. Mehr Informationen zu diesem Buch entnehmen Sie bitte den Seiten dieses schattigen Blogs. Oder aber tummeln sich direkt HIER.

2 Kommentare zu “Die Brisanz der Belanglosigkeit. Soeben ausgelesen: Henry David Thoreau – “Walden. Ein Leben mit der Natur” (1854)

  1. Alraune
    27. Januar 2020

    Und das war es schon? Es ist viel, was da ist. Auch wenn es stimmt, ein Roman ist es nicht.

  2. Sybille Lengauer
    12. November 2019

    Lese ich auch gerade.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 27. Januar 2020 von in 2 Sterne, Soeben ausgelesen, Thoreau, Henry David, vor 1950 und getaggt mit , , , , , .
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