David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Soeben ausgehört: Fontaines D.C. – “Dogrel” (2019)

dogfon

von David Wonschewski

Was hat es uns eigentlich zu kümmern wie hart das Leben in Dublin ist – und wie arg am Hinterteil man dort sein kann? Nun, inwiefern die Probleme Heranwachsender in der Arbeiterstadt Dublin sich nun von den mannigfaltigen Schwierigkeiten Jugendlicher in beispielsweise Dortmund oder Duisburg unterscheiden kann und darf gerne Gegenstand ausgefeilter, von Regierungen in Auftrag gegebener Studien sein. Über seine eigene unmittelbare Umgebung in einer Intensität zu texten, dass selbst hunderte und tausende Kilometer entfernt Menschen sich noch mitgenommen fühlen, über Länder-, Kultur- und Identitätsgrenzen hinweg, das allerdings ist Aufbae von Kunst und Kultur. Und das große Verdienst von Fontaines D.C. Oder speziell: Ihrem Debütalbum “Dogrel”.

“Dublin in the rain is mine
A pregnant city with a catholic mind
Starch those sheets for the birdhouse jail
All mescalined when the past is stale, pale”

So setzt der Opener “Big” den an rauhen Post-Punkt-Tönen interessierten Hörer, so setzt Sänger und Texter Grian Chatten auch den Dublin unerfahrenen Europäer gleich ins rechte Bild. Und bereits hier ist es nicht so recht auszumachen, ob es Abscheu, Ekel und Abkehr sind, die die Band leiten – oder aber doch die ganz große Sehnsucht danach, sich nicht vertreiben zu lassen von der Stadt, die sich seit vielen Jahrzehnten schon weigert friedvolle Heimat zu sein und aus der ein jeder, der noch bei Sinne ist, fliehen sollte.

Es geht aktuell bekanntlich was im PostPunk-Genre. Nachdem diese Spielart des artifiziellen Prügelrock mit dem Altern der Heroen der letzten großen Welle (Bloc Party, Maximo Park, Interpol) zunehmend auf der Stelle zu treten begann, sind es Nachwuchsbands wie die Idles, Shame oder The Murder Capital, die jüngst für eine veritable Frischzellenkur sorgten. Und das zuvorderst durch den netten Zug, das so strenge, fast schon mathematisch-kühl aufgezogene Genre, dessen Protagonisten nicht selten streng gescheitelt, in Hemd und Krawatte auftreten, mit einem Gefühl vom Pub, billigem Bier und durchgeschwitzten Shirts zu versorgen. Auch Fontaines D.C. fügen sich nahtlos in dieses Bild ein, nicht zuletzt Grian Chatten vermittelt dabei, bei aller literarischen Qualität seiner Lyrics, nicht selten den Eindruck ein Pöbler vor dem Herrn zu sein, einer, der sein Attitüden-Handwerk bei einem Herrn Gallagher aus Manchester gelernt hat.

In der Single “Too real” schildert die Band in zunächst zwar angespanntem, aber doch handgebremstem Tonfall ihren verwegen bis aussichtslosen Traum vom großen Geldmachen und Träumeverwirklichen in unwirtlich-trister Umgebung, bevor die Ausweglosigkeit in Zorn und der Zorn in blanken Hass übergeht, der Song zu einem prügelnden Kinnhaken gegen alle wird, die in privilegierteren Gegenden aufwachsen, in denen, wie Chatten singt, der weite offen Himmel einfach nur ein weiter offener Himmel ist – und nicht wie mit Narben übersät, wie zusammengeschlagen über einem hängt.

“Hurricane Laughter”, ein auf Festivals abgefeiertes, fast schon hypnotisierendes Stück Tanzbarkeit zeigt auf wundersame Weise, wie variantenreich das Quintett daherkommen kann, während “Roy’s Tune” nicht weniger als die schönste und traurigste, ja die poetischste Ballade ist, die sich ein Post Punk-Hirn seit Interpols “NYC” von 2002 ausgedacht haben dürfte. Derweil sich mit “Liberty Belle” fast am Ende des Albums ein kurzer, beschwingt daherkommender Songs versteckt, der zeigt, warum Fontaines D.C. bereits jetzt ein so großes Publikum erreichen: Die Band schreibt schlichtweg Ohrwürmer. In der Anmutung simpel genug, um sie auf Anhieb zu verstehen. In der Umsetzung und vor allem in den Texten hingegen ansprucghsovll und fordernd genug, um nicht nach drei Wochen gleich wieder entsetzlich zu nerven.

You know I love that violence
That you get around here
That kind of ready-steady violence
That violent “How do you do?”
And the lie when it’s “Daddy why sleep in a phone booth?”
He’s just very very tired of having
That same old boring conversation
Just like me, just like you
Man is on the nod, yeah, what you gonna do about it?

 

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 31. Dezember 2019 von in Musikrezensionen, Nachrichten und getaggt mit , , , , , , .
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