David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Melancholisch-sarkastische Literatur für Schwarzhumoriker, Musikenthusiasten und andere glückliche Menschen.

Wie intelligent ist Death Metal? Ein Gespräch mit Obscura – über philosophische Köpfe und unsägliches Gegrunze.

MashaPotempa9

Gar nicht blöde

Über guten Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten – über Fakten hingegen nicht. Und so ist es bereits seit vielen Jahren belegt, dass ausgerechnet der aggressiv-animalisch anmutende Death Metal die Fans mit dem durchschnittlich höchsten Bildungsniveau besitzt. Seltsam? Ein Gespräch mit OBSCURA-Gitarrist Christian Münzner über Klischees, Franz Liszt – und unsägliches Gegrunze.

Ganz fraglos haben sie eine Vorliebe für Begriffe aus dem lateinisch-griechischen Sprachgebrauch, die  bajuwarischen Death Metal Experimentalisten von Obscura. War das von Kritikern heftig umarmte Vorgänger-Album noch mit „Cosmogenesis“ betitelt, so kommt der aktuelle Longplayer nominell als „Omnivium“ daher. Keine schlechte Voraussetzung also für ein paar Betrachtungen über Death Metal und Bildung, zumal auch der Opener dieses Albums – „Septuagint“ – doch erst einmal sehr gediegen und mit einem kunstvollen Akustik-Arrangement durchstartet. Wohl temperierte Klänge, die tonal irgendwo zwischen Mittelalter und „Nothing Else Matters“ von Metallica anzusiedeln sind. Bis, ja bis dann nach exakt 45 Sekunden – der Hörer ist gerade fast etwas weggeduselt – unversehens doch wieder die altbekannte Death-Metal-Hölle über uns hereinbricht. Und ein infernalisches Todesstakkato Hirnwände auseinander zu drücken beginnt.  Inklusive genretypischem Gegrunze, natürlich, in Fachkreisen auch „Growling“ genannt, jenem in Death-Metal-Kreisen unverzichtbaren gutturalen Gesang, der von Uneingeweihten, je nach Gusto, ganz gerne zwischen den Polen „hochalbern“ und „gruselig“ eingenordet wird. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass kaum mal ein Wort wirklich zu verstehen ist. Verschenkt, mag sich da der allem Irr- und Wahnsinn aufgeschlossen gegenüberstehende Musikfreund denken, setzt sich Obscura-Sänger und Texter Steffen Kummerer auf „Omnivium“ doch immerhin mit nicht weniger als Friedlich Schelling und dem Zusammenhang von Natur- und Geisterwelt auseinander. Eine inhaltlich tiefe Auseinandersetzung also, die man in den meisten Musikgenres mit der Lupe suchen muss und für die dann tatsächlich ganz gerne der Begriff „intellektuell“ aus der Truhe gegraben werden könnte. „Ja, das ist in der Tat fast etwas fahrlässig“, bestätigt Christian Münzner, ehemaliges Mitglied der in der Szene fast schon kultisch verehrten Band Necrophagist und seit Anfang 2008 bei Obscura am Start. „Das habe ich selbst erst vor kurzem wieder erlebt, als ich zu Besuch bei meinen Eltern war und mein Vater Bekannten unser letztes Album vorgespielt hat. Er zeigte ihnen dann auch die Gitarrennoten, die wir zu diesem Album veröffentlicht haben, woraufhin eine der anwesenden Personen sagte, das sähe ja aus wie Liszt, das würde man gar nicht denken, wenn man die Musik so hört. Da wurde mir dann auch klar, dass ein durchschnittlicher Musikhörer, der sich jetzt nicht in der Tiefe mit Musik befasst und diese nur im Vorübergehen wahrnimmt, Musik immer nur nach der Stimme beurteilt und gar nicht bemerkt, was sonst noch so in der Musik passiert bzw. was die anderen Instrumente machen. Was die Gitarren, der Bass oder die Drums im Detail machen, ist wahrscheinlich zu abstrakt und komplex, um von Leuten, die nicht wirklich gewillt sind, sich näher damit auseinanderzusetzen, verstanden zu werden.“

Sollte es sich bei Death Metal also wahrhaftig um weit mehr als hirnloses Gegrunze ohne Niveau handeln? Auch Christian Münzner, der mit Obscura zuletzt weit über 160 Konzerte in den USA, Europa und Asien gespielt hat und somit durchaus als einer der erfolgreicheren deutschen Kultur-Exporte betrachtet werden kann, kann sich einer durchaus wohltuenden zynischen Distanz zu diesem Thema nicht entledigen: „Diese Art des Gesangs geht natürlich auf die Ursprünge des Death Metal in den 1980er Jahren zurück, als es vor allem darum ging, krass kontrovers und möglichst aggressiv zu erscheinen. Mich selbst hat früher auch immer der Gesang abgeschreckt, wenn ich Death Metal hörte, erst später, als ich mir einmal unvoreingenommen Zeit dafür genommen habe, habe ich entdeckt, was es in dieser Art von Musik oftmals für hochklassige Instrumentalleistungen und rhythmische und harmonische Komplexität gibt. Unser Produzent Victor hat einmal im Scherz zu mir gesagt, dass es ziemlich ironisch ist, dass man sich in dieser Musik wochenlang über jedes noch so kleine Detail, z.B. über Modulationen, Kontrapunkte, komplexe Rhythmen usw. Gedanken macht, und dann der Sänger kommt und wie ein Werwolf ins Mikrofon grunzt. Ganz so einfach ist es aber natürlich nicht. Daher, dass beim Growling keine melodischen Töne erzeugt werden, hat die Stimme als Instrument im Death Metal eine eher rhythmische Komponente, die bei Bands am progressiveren Ende des Spektrums aber sehr oft anspruchsvoller ist als in vielen Bands mit klarer Stimme. Bei cleanem Gesang greift man oft auf gängige harmonische Strukturen zurück und simplifiziert die Arrangements, um dem Gesang genug Raum zu lassen. Ist man daran nicht mehr gebunden, hat man viel mehr Möglichkeiten, harmonisch sehr komplexe Strukturen, wie man sie sonst nur in der klassischen Musik oder im Jazz findet, einzusetzen.“

Und in der Tat, ist man erst einmal bereit, sich tiefer in diese auch „Technical Death Metal“ genannte Spielweise zu vertiefen, so ist auch auf „Omnivium“ hinter dem Orkan erneut weit mehr zu entdecken als dumpfe Zerstörungswut. Musikalisch hochanspruchsvolle Tempowechsel treffen immer wieder auf Brüche – und nicht selten wird bei vollem Lauf einfach die Richtung geändert. Nichts, was man als Musiker mal so eben runtergniedelt und dazu brüllt. Nur logisch also, dass gerade die ach so wüste und böse Death-Metal-Szene Menschen mit höherem Bildungsgrad besonders fasziniert? „Ja, ich halte das für absolut keinen Widerspruch“, weiß Christian Münzner zu bestätigen. „Sowohl thematisch bzw. Image-bezogen, als auch musikalisch, macht es eigentlich schon Sinn, dass musikbegeisterte, gebildete Menschen zum Metal finden. Von einem gebildeten Menschen erwartet man ja schon, dass er sich auch Gedanken macht über die Welt, wie sie ist. Und wenn man das tut, erkennt man natürlich etliche Missstände und Situationen bzw. Zustände, die mehr als genug Anlass zur Sorge und zur Unzufriedenheit geben, was musikalisch seinen Ausdruck in wütender und aggressiver Musik findet. Metal mit Tiefgang ist daher eine Art von legitimer Rebellion. Die Death Metal Bands der frühen 1990er Jahre, wie z.B. Death, Morbid Angel oder Carcass, verarbeiteten Themen, die man sehr gerne verdrängt, z.B. Krieg, Krankheit, Tod, politische Missstände, soziale Ungerechtigkeiten. Diese Bands wurden sehr oft missverstanden, da sie diese Themen nicht glorifizierten, sondern die Gesellschaft mit Wahrheiten konfrontieren wollten, die diese gerne verdrängt und beschönigt.“ Und hört man Christian Münzner so reden, so scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis alsoauch Death Metal seine große Phase im Scheinwerferlicht des Mainstreams bekommt. Oder etwa nicht? „Natürlich wird Death Metal niemals dieses Popularitätsniveau erreichen wie Heavy Metal Anfang der 1990er, aber ich denke dennoch, dass momentan im Rahmen dessen, was man mit dieser Musik reißen kann, eine sehr gute Zeit für Death Metal oder anspruchsvollen, verspielten Metal ist. Es wird aber wohl immer eine Art von Nischenmusik bleiben, die nur Leute anspricht, die auf der Suche nach etwas Speziellem sind. Aber genau das ist ja auch die Intention.“

Schwarzer_Frost_50aa942e60412
Lesen Sie auch: David Wonschewski – „Schwarzer Frost“. Ein Musikjournalist tobt sich aus. Mehr Informationen: HIER.

Interview: David Wonschewski

5 Kommentare zu “Wie intelligent ist Death Metal? Ein Gespräch mit Obscura – über philosophische Köpfe und unsägliches Gegrunze.

  1. Anonymous
    2. Dezember 2012

    wäre natürlich nicht schlecht mehr von den themen zu machen, bitte entschuldigt meine schreibfehler bin doch nur ein mensch 😛

  2. davidwonschewski
    1. September 2012

    Hi, Danke- ich gebe zu-steht vor dem Artikel ja nun auch- ich bin überrollt von dem Interesse der Death Metal-Gemeinde. Seid ihr echt so ausgedürstet? Nicht doof gemeint, aber habt ihr so weng Fachorgane?

    Liebe Grüße

  3. mrjakie
    1. September 2012

    Super geschrieben, klasse Stil. Bitte öfters sowas!

  4. davidwonschewski
    1. September 2012

    Hallo Stefan, hallo OBSCURA-Fans. Mal so neben den Zeilen- ihr seid ja Fans. Positiv gemeint, ihr zerbombt mir gerade die Besucherzahlen. Dabei habe ich das Interview eher aus Verlegenheit aufgeschaltet.
    Ich weiß nicht jeder Leser ist hier angemeldet, aber da es ja auch mich interessiert: Habt ihr Lust regelmäßig sowas zu bekommen? Leisten könnte ich es, dachte nu bisher ich wäre die einzige arme Wurst…

    LG

    David

  5. Stefan
    1. September 2012

    Tolles Interview!

Kommentar verfassen

Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 2. September 2019 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , , , , , , .

Entdecke mehr von David Wonschewski | Musikjournalist & Schriftsteller

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen