David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Soeben ausgelesen: Thomas Manegold – “Heimathiebe” (2017)

heimatcover800web-245x300

von David Wonschewski

„Maniker können mitunter sehr schnell denken und Berge versetzen. Problematisch wird es erst, wenn sie diese Berge hinstellen, wo sie nicht hingehören, und am nächsten Tag nicht mehr wissen, wer den Haufen gemacht hat…und wie sie da ganz oben raufgekommen sind. Bipolar ist ein Tanz auf Messers Schneide, bei dem man sich zwangsläufig blutige Füße holt.“

Wäre Thomas Manegold eine Frau, ohne Umschweife knutschen würde ich ihn, sie, allein dieser paar Zeilen wegen. Stürmisch ginge ich dabei zu Werke, feucht, wild, exzessiv, ein wenig übertrieben. Nun, manisch halt. Denn auch wenn dieser Gedanke, den Manegold in seinem aktuellen Werk „Heimathiebe“ äußert, für mich als bipolaren Menschen keineswegs neu ist – selten habe ich Wunder und Wunden meines eigenen manisch-depressiven Wesens derart kompakt und anschaulich zusammengefasst gesehen. Es ist halt alles gleichermaßen kompliziert wie charmant, so man, ärztlich attestiert, einen an der Waffel hat. Und so einer jeden Äußerung, einer jeden Bewegung, eine Zerrissenheit innewohnt. Doch apropos Bewegung: Manegold ist ganz schön rumgekommen. Wie jetzt, USA? Neuseeland? Vereinigte Arabische Emirate? Mitnichten. Derart weit muss einer wie er, der die Kleinkunstszene seit bald 30 Jahren als DJ, Autor, Produzent und Mediengestalter gerne beflissen bereichert (und noch viel lieber emsig unterwandert), nicht reisen, um seine Themen zu finden. Denn Manegold besitzt eine Charaktereigenschaft, die im besten Fall eine Kunstfertigkeit ist. Im schlechtesten Fall aber ein Joch, das kaum zu tragen ist. Und an dem Mensch auch zerbrechen kann. Denn wie nur wenige versteht Manegold sich darauf nach links und nach rechts, direkt vor und direkt hinter sich zu schauen. Ob er es nun ist, der mit scharfem Blick den Gegebenheiten nachstellt, sie jagt und einkesselt – oder ob es nicht eher die Gegebenheiten sind, die ihn jagen, bis an den Rand der Erschöpfung treiben, ihn beständig auf- und anstacheln, nun, all das ist noch nicht ganz raus. Sicher ist jedoch, dass der durch seinen Alltag stapfende Manegold, so soll an dieser Stelle frech gemutmaßt werden, tagsüber regelmäßig in irres Gelächter ausbricht. Und sich des Abends den brummenden Schädel hält, die Schläfen massiert, sich über die Glatze reibt. Nein, weit, im touristischen Sinne, kommt ein solcher Mensch selten. Und so schafft es auch Manegold in seinen Polemiken, Reimen und Satiren nur bis Usedom, Brandenburg, Belgien. Was schon ziemlich weit ist, trägt es ihn an von besonderem Menschenirrsinn geprägten Tagen doch sogar nur bis vor die eigene Berliner Tür.

Thomas Manegold - periplaneta berlin

Thomas Manegold

Einen Moment, sagte ich nur? Auch so eine spackig-moderne Ansicht, dass nur der, der eine möglichst weite Reise tut, auch zünftig was zu erzählen hat. Denn, und nichts anderes beweist Manegold in seinen „Heimathieben“, die dringend zu behandelnden Themen, die liegen tatsächlich direkt vor uns, auf der Straße. Man muss nur hinschauen. Und Bock auf Bücken und Aufheben haben. Manegold, so scheint es, ist einer, der sich gerne bückt. Und gerne hebt. Bückt und hebt, ein paar Schritte läuft, sich dann wieder bückt und wieder hebt. Dass der gebürtige Thüringer seit einigen Jahren an heftigen Rückenleiden laboriert, wundert niemanden, der ihn dabei beobachtet. Gerade die ersten Texte der Heimathiebe zeigen, wie sehr er sich abarbeitet an all den gesellschaftlichen Verwerfungen, die ihm ungefragt vor die Füße geschleudert werden. Ja, Manegold kann heftig werden, deftig gar, wie sein Wutausbruch „Das Gefick mit der reinen Vernunft“, ein sarkastischer Rundumschlag gegen jeden, der sich als Gutmensch geriert, obschon er doch eigentlich den Wahnsinn, wenn nicht gar Niedergang unseres Landes befördert, gleich zu Beginn offenbart.

Ich will daran glauben, dass man Schweine essen kann, die glücklich gestorben sind. Und ich will auch eine Erektion bekommen, wenn ich mich zusammen mit meinem frisch erworbenen Fair-Trade-Kaffee im Spiegel anschaue. Ich will daran glauben, dass ich Eisbären rette, wenn ich weniger Gepäck in den Urlaub mitnehme

Eine sarkastische Tirade, die Manegold hier absetzt. Und die man sich in ihrer brutalen Schlagkraft durchaus auch aus dem Munde eines Serdar Somuncu vorstellen könnte. Nein, Manegold ist keiner, der sanft anklopft, um Einlass bittet. Manegold tritt Türen ein. Ein überspitzter Hau-Drauf-Text, der zwar Lust auf weitere Geschmacklosigkeiten weckt, in seiner Heftigkeit jedoch das hinterlässt, was ein heftiger Text im besten Fall nun einmal hinterlassen sollte: abgefackelte Gedanken, brach darniederliegende Verhaltensweisen. Manegold ist erfahren genug genau diese Wirkung zu antizipieren. Nach dieser Tirade, die zuvorderst aufs Gemüt zielte, keine weitere baugleiche Tirade folgen zu lassen. Sondern einen Angriff auf die Intelligenz des Lesers zu wagen. Es sind die sich anschließenden Texte wie „Osterweiterung“ und „Völkerschlacht“, in denen er sein durchaus beeindruckendes historisch-soziologisches Faktenwissen von der Kette lässt. Und dabei immer wieder pointierte, hier und da auch erschütternd stichhaltige Querverbindungen zieht. Gerade das anonymisierende, durch Gentrifizierung zerhackte, mehr und mehr heimatfeindliche Leben in Berlin trotzt Manegold dabei manch pfiffigen Dreh ab, der in seinen besten Augenblicken zu einer tieferen pars pro toto Weisheit mutiert:

Wenn die Gemeinschaft zu zerbrechen droht, wird einer zum Pariah abgestempelt, auf den sich dann alle einschießen. Der gemeinsame Feind wird eliminiert oder vertrieben – oder beides – und schweißt so die Gemeinschaft wieder zusammen. Das ist in jeder Gang so. Werden wir uns fremd, beißen wir einen tot und alles ist wieder gut.“

Es ist gerade das erste pointierte Drittel der „Heimathiebe“, das Manegold als profund versierten Stand-up Artist ausweist. Und das dennoch nicht den Höhepunkt des Buches darstellt. Denn kaum raus aus Berlin, kaum in der weite Brandenburgs angekommen, kaum mit der unfasslichen Weite des Meeres an Usedoms Stränden konfrontiert, gehen der deftige Tonfall und auch die Suche nach Pointen zurück. Und hinterlassen lockere Erzählungen, die, je länger Autor und Leser ihnen den Freiraum zur Entfaltung gönnen, einen ganz anderen Manegold hervortreten lassen. Mehrheitlich in tagebuchähnlicher Niederschrift führt er sich und uns heraus aus dem Irrsinn der Großstadt, lässt sich und uns durchatmen. Und entfaltet dabei einen ruhigen Schreibstil, der das hyperventilierende Schnappatmungslachen der Poetry Slam-Szene verjagt. Platz schafft für ein versonnenes Lachen hier, ein verschmitztes Grinsen dort. Stellvertretend dafür darf an dieser Stelle sein nur wenige Seiten kurzer Text über einen Trip nach Antwerpen sein, den sich jeder zu Gemüte führen sollte, der nach Belgien reisen wird oder schonmal nach Belgien gereist ist. Oder der, wie ich, sich seit jeher fragt, was für ein seltsames, irgendwie kaum zu bestimmendes Land dieses Belgien eigentlich ist. Es ist nicht von der Hand zu weisen: mit fortschreitender Dauer der „Heimathiebe“ wird Manegold zwar nicht lustiger – aber besser und immer besser. Das Bild eines Manegold, der sein Buch stapfend beginnt, dann jedoch in ein Schweben gerät, mag vielleicht etwas plump, aber zutreffend sein.

Zumal ihn die „Herzschrittmacherin“ schließlich sogar fliegen lässt. Ja, genau: fliegen. Ist das Manegold, der da schreibt? Oder um es angelehnt an Trapattoni zu sagen: Was erlaube, was mache – was könne Manegold?!! Man kann mir glauben, es braucht einiges um mir mit einem Liebesgeständnis eine Gänsehaut zu verschaffen. Mir ein „oooohhh, so schööön…da haben sich zwei ganz doll lieb und ganz doll gefunden“ zu entlocken. Um ehrlich zu sein, ich kann mich nicht entsinnen, dass so etwas überhaupt jemandem gelungen ist. Und Manegold haut, total untypisch für einen wie ihn, hier ein Liebesgeständnis raus, das frei von Schmonz und Schmatz und Schokoguss mal ebenso eine nahezu perfekte Definition moderner funktionierender Beziehung liefert. Es verbietet sich geradezu aus diesem Text zu zitieren, eine Stelle brutal herauszubrechen, so fein verwoben ist hier alles. Und so unstatthaft würde es sich für den Rezensenten anfühlen, der froh ist, wenn auch nur als Zaungast, bei so etwas Wunderbarem überhaupt einmal dabei sein zu dürfen.

Der Mensch Wonschewski wünscht sich so etwas einmal zu erfahren. Der Autor Wonschewski dergleichen einmal zu schreiben.

Thomas Manegold – „Heimathiebe“. (Buch mit CD) Erschienen im Periplaneta Verlag Berlin, 108 Seiten / Zur Wensite von Thomas Manegold: HIER entlang.


Über den Rezensenten:

David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 18 Jahren als Musikjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, verfasste knapp 450 Rezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er ist Begründer (und nach aktuellem Stand auch Totengräber) des Liedermachermagazins „Ein Achtel Lorbeerblatt“ und saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein. Der Nachfolger „Geliebter Schmerz“ erschien Anfang 2014, der Roman „Zerteiltes Leid“ wurde im Mai 2015 veröffentlicht.

„Wonschewski zieht alle Register der Vortragskunst bis hin zur schrillen Verzweiflung, die sich in drastischen Stimmlagen widerspiegelt. Ironie, Sarkasmus und Zynismus – der Autor versteht es vortrefflich, diese Stilmittel zu einem höchst amüsanten Cocktail zu mixen.“ (Rainer Nix, „Westfälische Nachrichten“, 10. Juni 2015).

Folgen Sie David Wonschewski besser nicht bei Facebook. Klicken Sie bloß nicht: HIER.

Ein Kommentar zu “Soeben ausgelesen: Thomas Manegold – “Heimathiebe” (2017)

  1. Silbenstreif
    9. September 2017

    Hat dies auf THOMAS MANEGOLD rebloggt und kommentierte:

    Sowas kann man rebloggen 🙂 Danke an Herrn Wonschewski!

Kommentar verfassen

Information

Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 31. August 2019 von in 2000 - 2018, Manegold, Thomas, Nachrichten, Soeben ausgelesen und getaggt mit , , , , , .
%d Bloggern gefällt das: