von David Wonschewski
Dass ein solches Buch zu einem Bestseller wird wundert angesichts der aktuellen Lage keineswegs. Und so ist es auch durchaus als bewundernswert, wenn nicht gar überfällig zu erachten, was der Journalist Constantin Schreiber hier unternimmt: der Versuch uns eine kaum bis gar nicht verständliche Sprache, Kultur und letztlich Welt- und Menschensicht zwar nicht gleich zu öffnen, aber doch zu zeigen.
Kaum jemand wäre besser geeignet für einen solchen Job als der ehemalige n-tv und neuerdings Tagesschau-Moderator Schreiber, der fließend Arabisch spricht und seine Fachexpertise in Sachen arabischer Kultur bereits mehrfach, auch preisgekrönt, unter Beweis hat Stellen können.
Für uns hat Schreiber sich nun über mehrere Monate hinweg zu Freitagspredigten in Moscheen begeben, die dort gehaltenen Vorträge transkribiert, übersetzt und mit diversen Experten diskutiert. Um uns, so das Ansinnen, ein Gefühl dafür zu geben, ob das, was unseren “Mitbürgern mit Migrationshintergrund”, denen wir doch zunehmend weniger Vertrauen, in ihren Moscheen eingetrichtert wird nun hochexplosiv oder doch eher belanglos ist. Dass dieser Versuch gelungen ist, kann, so viel vorneweg, leider nicht gesagt werden. Das ist jedoch weniger Schreibers Versagen, sondern vielmehr der arg gesplitterten islamischen Szene geschuldet, die in derart viele Strömungen zerfasert ist, dass eine konkrete Aussage, ganz zu schweigen, dass auch – natürlich – unter Moslems subjektive Meinungen anhand tagesaktueller Ereignisse gerne mal variieren, schwanken können.
Interessant ist “Inside Islam” allemal, gerade zu Beginn. In knappen Worten zeigt Schreiber auf, wie schwierig es selbst für öffentliche Institutionen (Bürgerämter, Verfassungsschutz etc.) ist sich einen Überblick zu verschaffen. Was nötig ist, um auch nur einen Raum als “Moschee” zu deklarieren, wie viele Moscheen es in Deutschland gibt, wo sie liegen, von wem sie geleitet werden – nichts genaues weiß man nicht. Ein beunruhigendes Gefühl, wie nicht nur Schreiber findet. Ebenfalls interessant seine knappen Schilderungen der Moscheen, seine Anfahrtswege dorthin und die Begegnungen mit Besuchern und Imamen. All das macht die Lektüre des Buches durchaus spannend.
Wenn da nur nicht die Predigten wären, die, logisch, den Hauptteil des Buches bilden. Das mag nun wenig religions- oder gar islaminteressiert klingen, oberflächlich vielleicht sogar: aber sich seitenlange Predigten “reinzuziehen” kostet Nerven. Das mag am Sprachstil der Predigten liegen, auf die sich das westeuropäische Gehirn auch erst einmal einstellen muss, es mag auch an vielen Bezügen liegen, die einem Muslimen nicht erst in 150 Fußnoten ellenlang erklärt werden müssen, einem Christen oder Atheisten aber durchaus. Vor allem liegt es aber letztlich daran, dass der verbale Zündstoff, den man intuitiv erwartet, schlichtweg nicht gegeben ist. Sicher gibt es viel zu analysieren und interpretieren in theologischer, auch politischer Hinsicht. Sehr wichtig auch Schreibers Ansatz die wenig bis gar nicht vorhandenen integrativen Bemühungen der Imame herauszuarbeiten, sowie zu erläutern wo vermeintlich religiöses Heilsgerede einen durchaus aktuellen und gefährlichen Nährboden für kommende Konfliktfelder schafft. Und doch sticht einem die auffällige Kürze ins Auge, mit der der Autor die Inhalte der Predigten mit den Experten bespricht. Es scheint fast als sei, auch wenn er es im Fazit des Buches anders benennt, so verdammt viel Anstößigkeit darin denn doch nicht zu finden.
Eines aber wird dank Schreibers Bemühungen klar: Integration kann nur gelingen, wenn sie von allen Seiten angegangen wird. So sehr sich viele türkische oder arabischstämmige Mitbürger auch bemühen in der deutschen Gesellschaft Wurzeln zu schlagen, Fuß zu fassen – ausgerechnet von ihrer eigenen größten moralischen Instanz werden sie dabei kaum unterstützt, mitunter gar behindert. Zwar hält sich die Vermittlung vermeintlich gefährlicher Inhalte in Grenzen wer jedoch die Möglichkeit hat jeden Freitag über eine halbe Stunde vor hunderten von Muslimen zu sprechen, die einem (in den meisten Fällen) geradezu an den Lippen hängen, darf auch mal etwas Positives zu Deutschland, den Christen, unseren Werten fallen lassen. Kann doch so schwierig nicht sein.
Dass gerade das offenbar kaum geschieht, stellt das große, nicht zu entschuldigende Versäumnis der islamischen Community dar. Dass uns hoffentlich nicht schon eines nahen Tages auf die Füße fällt, um die Ohren fliegt.
Über die nervenzermürbende Lachhaftigkeit psychischer Schräglagen: Lesen Sie auch „Schwarzer Frost“, „Geliebter Schmerz“ und „Zerteiltes Leid“ – die bisher erschienen drei Bücher von David Wonschewski. Mehr Informationen dazu gibt es: HIER.
Zum Autor:
David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 18 Jahren als Musikjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, verfasste knapp 450 Rezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er ist Begründer (und nach aktuellem Stand auch Totengräber) des Liedermachermagazins „Ein Achtel Lorbeerblatt“ und saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein. Der Nachfolger „Geliebter Schmerz“ erschien Anfang 2014, der Roman „Zerteiltes Leid“ wurde im Mai 2015 veröffentlicht.
„Wonschewski zieht alle Register der Vortragskunst bis hin zur schrillen Verzweiflung, die sich in drastischen Stimmlagen widerspiegelt. Ironie, Sarkasmus und Zynismus – der Autor versteht es vortrefflich, diese Stilmittel zu einem höchst amüsanten Cocktail zu mixen.“ (Rainer Nix, „Westfälische Nachrichten“, 10. Juni 2015).