Dass große Politik hauptsächlich in Hinterzimmern betrieben wird – ist bekannt. Dass es jedoch nicht automatisch mit Verschwörung (und noch viel weniger mit Fake News) zu tun haben muss, so nur die halbe Wahrheit ans Licht kommt, das zeigt dieses fakten- und facettenreiche Buch von Robin Alexander. Dem Journalisten der Welt-Gruppe, der seit langer Zeit vor allem über das Kanzleramt und die Unionsparteien berichtet, gelingt es in mühevoller, doch gut zu lesender Kleinstarbeit nachträglich aufzudröseln, was im tagesaktuellen Medien- und Politikgeschäft kaum zu vermitteln war. Zusammenhänge aufzuzeigen, die selbst dem gut informierten Geist bisher entgangen sein dürften, das ist der große Mehrwert dieses Buches. Stellenweise, beispielsweise in den auch öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen-Schrägstrich-Wettrennen zwischen Merkel und Seehofer bzw. Merkel und dem jungen österreichischen Außenminister Sebastian Kurz, geraten Alexanders Schilderungen zu einem gleichermaßen spannend wie komischen Ränkespiel. Dann wieder, allem voran wenn die etwas unselig agierenden NATO oder EU ins Spiel kommen oder etwa der griechisch-türkische Dauerkonflikt sich wie unzulässig über die Flüchtlingsproblematik legt, wird es nahezu nervig. Nachzulesen an welchen persönlichen oder stattlichen Eitelkeiten, um nicht zu sagen Albernheiten, vernünftige Lösungsansätze scheitern können, doch, das tut fast schon körperlich weh. Der Autor versucht all das mit möglichst größer Nüchternheit zu schildern, was ihm gottlob nicht immer gelingt.
Besonders interessant: Noch einmal nachzuarbeiten wie Angela Merkel in jene Rolle als “Fast-Nobelpreisträgerin” mehr hineingeplumpst als stolziert ist. Wie sie sich dennoch, mit Geschick und ihrer berühmt-berüchtigt stoischen Ruhe die Geschicke des Kontinents nicht aus den Händen hat nehmen lassen, ist erst überraschend, dann bewundernswert. Gerade die tiefgründig beleuchteten Rollen der Herren Seehofer, Erdoğan, Davutoğlu, Orban und Kurz lassen “Die Getriebenen” zu einer Pflichtlektüre in Sachen pragmatische Politik werden. Gerade diejenigen unter uns, die sich so verdammt sicher sind das Wirken und Denken dieser Herren als arg eindimensional entlarvt zu haben, dürften ihre Meinung aufgrund dieses einen Buches zwar nicht ändern, jedoch in Ansätzen neu überdenken.
Robin Alexander – “Die Getriebenen”, Siedler Verlag 2017, 288 S.
Über die nervenzermürbende Lachhaftigkeit psychischer Schräglagen: Lesen Sie auch „Schwarzer Frost“, „Geliebter Schmerz“ und „Zerteiltes Leid“ – die bisher erschienen drei Bücher von David Wonschewski. Mehr Informationen dazu gibt es: HIER.
Zum Autor:
David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 18 Jahren als Musikjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, verfasste knapp 450 Rezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er ist Begründer (und nach aktuellem Stand auch Totengräber) des Liedermachermagazins „Ein Achtel Lorbeerblatt“ und saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein. Der Nachfolger „Geliebter Schmerz“ erschien Anfang 2014, der Roman „Zerteiltes Leid“ wurde im Mai 2015 veröffentlicht.
„Wonschewski zieht alle Register der Vortragskunst bis hin zur schrillen Verzweiflung, die sich in drastischen Stimmlagen widerspiegelt. Ironie, Sarkasmus und Zynismus – der Autor versteht es vortrefflich, diese Stilmittel zu einem höchst amüsanten Cocktail zu mixen.“ (Rainer Nix, „Westfälische Nachrichten“, 10. Juni 2015).