Du hast dir vorgenommen von dieser Stunde an nichts mehr zu tun. Aber natürlich tust du etwas, kein Mensch der Welt besitzt die Fähigkeit zum Stillstand, sei es das Atmen, sei es das Schwitzen, sei es der ungeplante, nicht aktiv von dir gestattete Transport von Blut durch deine Venen. Dein Körper gehört nicht dir. Du bist still, das mag sein. Dein Körper jedoch nicht, aufrührerisch malocht er vor sich hin, hält dich ungefragt und eigeninitiativ am Leben, versorgt dich mit Eindrücken und Wahrnehmungen, stellt die Frage nach deinem funktionierenden Organismus über die Frage nach deiner funktionierenden Existenz. Du willst nicht tot sein, nein, in dieser düsteren Stimmung bist du nicht, nicht schon wieder. Du willst einfach nur gar nicht sein. Und während du dort auf deiner Matratze hockst, nichts verrichtest, während dein Körper sich weigert Ruhe zu geben, seine Aktivitäten einzustellen, fragst du dich, ob es denn zu viel verlangt ist gar nicht zu sein, zu verrinnen, zu vergehen, abzuebben. Aufzugehen in einem Zustand von weg.
Eine kurze Sekunde, nein, eher eine kurze Nuance lang überlegst du dich aufzuregen, überlegst ins Toben darüber zu geraten darüber, dass dein Körper nicht dir gehört, dass dir permanent Geräusche entfahren, die dir selbst fremd sind, dass ein Schmerz von einem zum nächstem Moment auftauchen und einen Wimpernschlag später schon wieder vergangen sein kann. Dass du eine Waage, ein Maßband, ein Röntgengerät, einen Arzt fragen musst, um zu erfahren wie es dir geht, da du deinem eigenen Blick in deinen Körper schon lange nicht mehr traust, ein seltsames Stechen mal als beginnende Flatulenz, dann wieder als bösartigen Tumor deutest. Doch du regst dich nicht auf, hast dich oft genug in deinem Leben aufgeregt über dieses und jenes, hast ein großes Affengebrüll in die Welt gesetzt, um etwas einzufordern, etwas richtigzustellen, dich zu rechtfertigen, eine klare Sicht über das Sein der Dinge und in das Wesen der Welt zu erhalten. Und es damit immer nur schlimmer gemacht. So oft und so ausgiebig aufgeregt hast du dich, dass du dir nun den Luxus erlauben und auf deiner Matratze hocken bleiben kannst. Ohne Arroganz und Selbstgefälligkeit eine wegwerfende Handbewegung kannst du nun machen, kannst aufgesetzt und plakativ seufzen, stöhnen, raunen: Ach, wozu die Aufregung noch?
Diese Haltung, immerhin diese eine Haltung, hast du dir doch verdient. Denkst du nicht auch?
So einer bist du nun also, in diesem Augenblick. Es presst dich nicht nieder auf die Matratze, auch hält dich nicht die Depression mitsamt ihrem eisigen Klammergriff auf deiner Bettstatt, nein, du hockst um des Hockens Willen, zelebrierst die Verweigerung. Oder zumindest ihren Beginn, deine ersten unsicheren Schritte dort hinein. Das ist bereits die ganze Geschichte deines Verbleibens in deiner Wohnung an diesem Vormittag. Keine Pointe, kein Gag, keine Punch-Line.
I would prefer not to, Mister Bartleby.
I would prefer not to.
(Der vorliegende Text entstammt einem schauderlichen Wohlgefühl, das mich jüngst überkam, nachdem ich mit der Nase etwas zu tief in Texte von Georges Perec, Herman Melville und Iwan Gontscharow geraten war. Soll nicht wieder vorkommen.)
Über die nervenzermürbende Lachhaftigkeit psychischer Schräglagen: Lesen Sie auch „Schwarzer Frost“, „Geliebter Schmerz“ und „Zerteiltes Leid“ – die bisher erschienen drei Bücher von David Wonschewski. Mehr Informationen dazu gibt es: HIER.
Zum Autor:
David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 18 Jahren als Musikjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, verfasste knapp 450 Rezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Er ist Begründer (und nach aktuellem Stand auch Totengräber) des Liedermachermagazins „Ein Achtel Lorbeerblatt“ und saß von 2013 bis 2015 in der Jury der renommierten Liederbestenliste. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman „Schwarzer Frost“ brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein. Der Nachfolger „Geliebter Schmerz“ erschien Anfang 2014, der Roman „Zerteiltes Leid“ wurde im Mai 2015 veröffentlicht.
„Wonschewski zieht alle Register der Vortragskunst bis hin zur schrillen Verzweiflung, die sich in drastischen Stimmlagen widerspiegelt. Ironie, Sarkasmus und Zynismus – der Autor versteht es vortrefflich, diese Stilmittel zu einem höchst amüsanten Cocktail zu mixen.“ (Rainer Nix, „Westfälische Nachrichten“, 10. Juni 2015).
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Ungefragt hält der Körper am Leben. Gut beschrieben.