David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Er erstickt in der Vergangenheit, qualvoll. Die misanthropische Platte. Heute: Freiburg – “Brief & Siegel”

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Warum eines meiner beiden deutschen Lieblingslabels ausgerechnet in meiner beschaulichen, meiner „an sich geht es denn Leuten doch recht gut da“-Heimatstadt  Münster lokalisiert ist, nein, das werde ich wohl nie begreifen. Aber vermutlich haben sich „This Charming Man Records“ – abgesehen vom womöglich trifftigen Herkunftsgrund – durchaus was dabei gedacht dort zu anzubauen. Und eben nicht in Berlin oder Hamburg oder wo man halt sonst so ist, wenn man vor lauter Cool- und/oder Hipness kaum noch geradeaus laufen kann. Und damit liegt man ja durchaus im Trend, denn, da sollten wir ehrlich sein: das republikbeste Musikgeschrei kommt, wie auch die “Visions” kürzlich feststellte, seit einigen Jahren schon nicht mehr aus den vermeintlichen musikkulturellen Ballungszentren. Sondern aus der, genau: Provinz.

Fast alles, was im deutschsprachigen Punk, Post Punk oder Hardcore-Bereich stürmisch und aufregend ist, kommt neuerdings nur noch aus Käffern.  Das aber so vehement, dass für Berliner und Hamburger neuerdings allenfalls noch die Rolle der mittelgescheitelten Behaglichkeitspopper übrigbleibt. Ja, Kleinstädter, die bisher im Verdacht standen außer Gartenzaun und Rasenschere so überhaupt nicht zu bieten zu haben, vertonen mittlerweile die Revolte, den gesellschaftlichen Aufschrei. Derweil Prenzlauer Berg unsagbar verspießert.

Doch, kaum war ich von Münster aus gen Berlin getürmt, in der irrigen Meinung da tobe irgendwas, schon hat sich was aufgestaut in jenen Orten, in die nicht einmal der Flixbus fährt (wozu Münster im Übrigen seit geraumer Zeit schon nicht mehr gehört, wie ich aus eigener Erfahrung sagen darf). Turbostaat zogen dereinst aus Husum los, Pascow aus Gimbweiler, Love A aus Trier. Messer kommen, wie TCM-Records, aus Münster. Die Nerven aus Stuttgart. Das ist zwar immerhin groß, aber, nun ja: Stuttgart eben.

Klar, bei der Band Freiburg ist man zunächst geneigt diese Herkunftsthese geflissentlich in die Tonne zu treten, ist die badische Kleinstmetropole doch schon ziemlich lang bekannt für ihre weltoffen umtriebige Szene. Kleiner Haken an der Sache: Freiburg sind nicht aus Freiburg. Sondern aus Gütersloh. Hallelujah, quod erat demonstrandum.

Ob der schreihalsige Vierer nun einfach eine Passion für die Stadt Freiburg im Herzen trägt oder aber kraft Bandnamen vielleicht nur eine tiefe Verbundenheit zum tocotronischen Gesamtwerk übermitteln wollen, alles das ist dem wutgelüstigen Verfasser dieser Zeilen leider nicht bekannt. Und ist, offen gesagt, auch gar nicht sonderlich wichtig, hat die nunmehr dritte Platte „Brief & Siegel“ es doch tatsächlich geschafft, den durchaus gelungenen und in der einschlägigen Presse kräftig gehypten neuen Langspieler von Turbostaat aus meinem Musiklaufwerk zu verdrängen. Für Leser, die aus anderen Musikrichtungen des Weges geschlendert kommen, sei gesagt, dass Turbostaat – die Freiburg jüngst im Übrigen für zwei Konzerte als Support mitnahmen und die über die vielen Jahre längst und zurecht zu einer kleinen grauen Eminenz der Wortprügelei geworden sind – dass Turbostaat mit ihrem neuen Album „Abalonia“ fraglos ein musikalisch und textlich enorm vielschichtiges Flüchtlings-Konzeptmonster geschaffen haben, für das man als Band einfach schon ziemlich lange am Start sein muss. Kunst für die ganz große Ausholbewegung. „Abalonia“ ist vielleicht schon jetzt einer der wichtigsten Musikbeiträge zum laufenden Politkjahr – braucht dementsprechend jedoch seine Umdrehungen, seine Wiederholungen. Und hier und da sogar: Seine eigenen “Königs Erläuterungen”, wenn die noch wer kennt, aus der Schule, damals.

Das ist bei „Brief & Siegel“ komplett anders. Zehn Songs, in weit unter dreißig Minuten in den Wind gedroschen. Mit genügend Punk-Attitüde versehene Noise-Attacken, es beginnt schreiend und endet, nach besagten nicht einmal 30 Minuten, brüllend. Nun mag es genug Leute geben, denen ist ein solches Konzept zu gleichförmig, denen klingt ein Song wie der nächste. In der Regel sind das aber dann auch Leute, die haben es nicht so mit dieser unaufgesetzten Form der Artikulierung von Verzweiflung und Wut.

Hat man jedoch ein Faible dafür, so nehmen Freiburg einen mit auf eine Parforcejagd über Berg und Tal. Fein nuanciert genug, um bei all der Raserei permanent ins Trudeln und ins Stolpern zu geraten, sich hemmungslos auf die Visage zu packen. Und mit Textzeilen gesegnet, die vielleicht nicht für die Ewigkeit und somit den Olymp der Derben und Faustgeballten geschaffen sind – dafür aber für den Moment. Den kleinen, widerlichen Drecksmoment, der einem jeden von uns im Nacken sitzt, täglich, stündlich, minütlich.

Moment: will man sowas hören? Ja, will man, machen es Freiburg doch immer wieder zu, mit Verlaub: Misanthropen-Poesie. Allein die Songnamen. Diese Songnamen! „ Der Fall ins Messer“, „Grosse Träume, wa?“, „Kanüle abwärts“ oder, in seiner scheinbaren Belanglosigkeit so widerwärtig groß: „Sein Spaten“. So müssen Lieder heißen, um erst einmal Lust haben reinzuhören – und Sie dann als Seelentattoo im vergrämten Innern mit sich herum zu tragen. Und auf diese Weise aus Leid Lied und aus Last Lust werden zu lassen.

Und darum geht es doch letztendlich bei derart hart-kompromisslos zu Werke gehender Musik, nicht wahr?

„Sommer, Roggen und er“ ist der heimliche Hit des Albums. „Let’s dance to Joy Division“, sangen die die Wombats vor einigen Jahren. Und auch wenn Freiburg naturbedingt nicht die Indiedisco der Liverpooler auffahren können und wollen, so ist das Grundgefühl doch recht ähnlich: Leid ist feierlich. Und ist Leid erst einmal feierlich – so ist es auch heilbar. Vielmehr Misanthropen-Credo auf wenige Liedzeilen zusammengestutzt geht kaum.

Die Sonne im Rücken, ihr Messer im Gesicht

Frieden war schon immer nur ein Wort.

In seinen Adern fließt nur noch Rotwein.

Denn Love will tear us apart.

Das liest sich an dieser Stelle offen gesagt ein wenig ungelenk herunter, wie das die berühmte englischsprachige Hitzeile eingepflegt wird – aber es funktioniert. Und macht zugleich, tolle Sache: stolz. Mit wenigen Mitteln, die auf dem Papier vor Gericht verbracht direkt verknackt und zu minimum zehn Jahren Zuchthaus für die Band führen müssten, erschaffen Freiburg hier einen großen Moment. Es lebe das wiederholte Skandieren!

Ja, der heimliche Hit. Aber bei weiten nicht der besten Track auf „Brief & Siegel“. Dafür hat die Platte an anderen Stellen zu viel Tiefgang. Das bereits angesprochene „Sein Spaten“ beispielsweise, das in wenigen Worten die Traumatisierung vermutlich eines Kriegsheimkehrers skizziert, der seit dem Tod seiner Frau aus Angst vor den Menschen sein Haus nicht mehr verlässt. Sich eines Tages seinen Spaten schnappt, in den Wald geht, sein eigenes Grab aushebt, sich reinlegt.

Er wartet und hofft auf den Winter.

Er wartet und betet für Schnee.

Weil Bilder im Kopf nicht ertrinken.

Weil Schuld nicht einfach so brennt.

Eine der großen Stärken – mancher mag es auch als Schwäche auslegen – der Band ist die Mehrdeutigkeit der Texte. „Ihre Narben“ beispielsweise, ein drängendes, ein dicht-intensives Stück, so atemlos intoniert, dass es ein Gefühl von Erstickung entfacht. Und das erklärt, warum eine geschundene Frau sich immer wieder neu auf Männer einlässt. Obschon es offensichtlich immer ein Wagnis, immer wieder ein Vabanquespiel ist: Begegnet sie endlich Schutz und Sicherheit – oder liefert sie sich doch wieder nur aus? Lichter und Rausch und Geschwindigkeit, so macht uns die Band hier sehr eindrucksvoll klar, ist die einzige Rettung für geschundene Frauen. Ob die Protagonistin in „Ihre Narben“ nun vergewaltigt wurde, was naheliegt angesichts der „Stimmen“, die sie noch immer hört, die sie nie vergessen wird – bleibt unklar. Ist aber eben auch nicht so wichtig. Denn was bringt schon die glasklare Herleitung von Gründen, wenn es doch die Symptome sind, die krank machen?

Knallevoll angefüllt mit dieser Erkenntnis ist „Brief & Siegel“, halten sich Freiburg doch allgemein eher wenig damit auf Sachverhalte zu analysieren, Probleme direkt zu benennen. Was die Platte zu einer durchaus befreienden Ansammlung von Liedern macht, die mehrheitlich nach vorne schauen. Und ihre vehemente Kraft gerade dadurch fast schon kamikazehaft ungefiltert potentiellen emotionalen Lösungen widmen. Oder wie heißt es so schön in „Im Moor“?

Im Moor liegt der Grund

In der Träne die Einsicht

„Mutter hilf mir!“

Schreibt er und verzweifelt.

Und so ist „Brief & Siegel“ in allererster Linie eine Anti-Erstickungsplatte geworden. Was allein dadurch manifestiert wird, das hier ein Sänger ist, der nahe an der Erstickungslinie entlang Geschichten von Protagonisten erschreit, die allen Grund haben zu ersticken. Was den Abschlusstrack – feiner Schachzug der Band – denn auch gleich zum Höhepunkt und letztlichen Befreiungsschlag des malträtierten Individuums werden lässt. „Es ist vergangen“, so heißt dieses letzte Stück der Platte passend, klingt desaströs, bereit morbid zu werden. Kriegt aber dann die ganz große, die entscheidende Kurve:

Er erstickt in der Vergangenheit.

Er erstickt in der Vergangenheit.

Er erstickt qualvoll, geht zu Boden.

Er erstickt qualvoll, ringt nach Luft!

Erstickt qualvoll. Fall auf die Knie!

Nach Luft!

Wer meinen Roman „Schwarzer Frost“ gemocht hat, wird auch diese verknappt-ungestüme Musikvariante mögen. Sicher. Ganz sicher.

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David Wonschewski, Jahrgang 1977, wuchs im Münsterland auf und ist seit 15 Jahren als Musikjournalist für Radio, Print & Online tätig. Als leitender Redakteur gestaltete er viele Jahre das Programm landesweiter Stationen, führte Interviews mit internationalen Künstlern, verfasste knapp 450 Rezensionen sowie PR-Texte für u.a. Reinhard Mey. Sein von der Internationalen Thomas Bernhard Gesellschaft empfohlener Debütroman “Schwarzer Frost” brachte ihm 2013 erste Vergleiche mit Autorengrößen wie David Foster Wallace, Bret Easton Ellis oder eben Thomas Bernhard ein. Der Nachfolger “Geliebter Schmerz” erschien Anfang 2014, der Roman “Zerteiltes Leid” wurde im Mai 2015 veröffentlicht.

“Wonschewski zieht alle Register der Vortragskunst bis hin zur schrillen Verzweiflung, die sich in drastischen Stimmlagen widerspiegelt. Ironie, Sarkasmus und Zynismus – der Autor versteht es vortrefflich, diese Stilmittel zu einem höchst amüsanten Cocktail zu mixen.” (Rainer Nix, “Westfälische Nachrichten”, 10. Juni 2015).

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 1. Januar 2017 von in Musikrezensionen, Nachrichten und getaggt mit , , , , , , , , .
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