David Wonschewski ist Schriftsteller, Jury-Mitglied der renommierten “Liederbestenliste” und Gründer des Liedermacher-Magazins “Ein Achtel Lorbeerblatt”. An dieser Stelle stellt er in unregelmäßigen Abständen die interessantesten deutschsprachigen Plattenneuerscheinungen vor.
Da sind sie also, die “Krisenlieder”. Ein Album, das ich für eine der wichtigsten Veröffentlichungen der vergangenen 2 Jahre halte, vermutlich sogar die wichtigste Veröffentlichung seit „Schluss mit dem Geschrei!“ von Tom Kirk aus dem Jahr 2010. Wohlgemerkt: nicht unbedingt die beste – aber sehr wohl die wichtigste. Und für diese Meinung – oh, Geschmäcker können so verschieden sein! – von manchem Liedermacherfreund zweifelnde Blicke erhalte. Zu Unrecht?
Ja, wenn, ja wenn erst der letzte Mietnomade mietfrei auf der Straße sitzt
und vor der nagelneuen Altbaufassade bettelnd Reuetränen schwitzt
Ja, wenn erst der letzte Arbeitslose an `nem Fließband steht
und ihm beim Köterfutter aus der Dose nichtmals mehr der Appetit vergeht
Ja dann…wohnt kein Pack mehr in euren Vorsorgeobjekten
nee dann wohnen da nur noch Menschen wie ihr
Bei denen man vorsorglich ihre Bonität abcheckte
Schufa-Auskunft? Aber bitte! Gerne! Hier!
(aus „Blase aus Blödheit“)
Nun, um zu begreifen, warum die hier versammelten 11 Lieder von Bastian Wadenpohl, der sich auch „Tetzlaffs Tiraden“ nennt, mich jauchzen lassen vor Glück, ist es nötig vorab einen Blick nach links und auch einen Blick nach rechts zu werfen. Und zu erkennen, dass Typen wie Bastian Wadenpohl, die ihre Gitarre noch als Axt zu gebrauchen verstehen, selten geworden sind in unseren distinguiert-aalglatten Zeiten. Keine Frage, es gibt große Sprachkünstler dort draußen, blitzgescheite Wortästheten, die ihre Kritik an diesem und jenem so fein ziseliert in Nebensätze verschachteln, dass ebenso blitzgescheite studierte Geister neckisch grinsen, sich diebisch darüber freuen, dass sie nach 25 Hördurchgängen auf diese eine feine ironische Nuance gestoßen sind. Ein Liedermachertum für Cleverles ist das, Musik für die wohlsortierten Jungs aus dem Deutsch-Leistungskurs. Da ich prinzipiell selbst zu exakt dieser Spezies Jüngelchen gehöre und meine große Freude an dementsprechenden spitzfindigen Werken habe, spreche ich auch gerne von modernen Liedermacher-Nerds. Frei nach dem Motto: Revolution, ja gerne. Nur das Hemd darf nicht zerknittern dabei, der Mittelscheitel nicht durcheinander geraten. Und anecken sollte man auch nicht, blaue Flecken machen sich nicht gut unter vermeintlich intelligenten Wortverdrehern.
Und nun kommt also dieser Wadenpohl. Und erinnert mich endlich wieder an die Verantwortung der Liedermacher. Und auch jener Menschen, die deren Musik hören, ergo mich eingeschlossen. Erinnert daran, warum ich dieses Genre so abgöttisch liebe. Gute Frage, warum höre ich Liedermacher? Ganz einfach: Ich höre Liedermacher aus den exakt gleichen Gründen, aus denen ich auch Punkmusik höre. Ich verehre den frühen Hannes Wader aus dem gleichen Grund, aus dem ich so gerne zu Platten von The Clash greife. Und Biermann bereitet mir die gleiche infernale Freude wie die Sex Pistols. Doch, doch, die Sache gestaltet sich denkbar simpel: Wenn es nicht brennt, ist es Lollipop. Und von Lollipop haben wir wahrlich genug.
Da ist eine Unangepasstheit, eine Rohheit, ein Minimalismus und eine klar artikulierte Wut. Im Punk, in meinem Grundbegriff von Liedermachern – und eben auch in Bastian Wadenpohl. Da ist auch viel Selbstgerechtigkeit, klar, eine fast schon verantwortungslose Unlust daran es allen Recht zu machen und mit 25 Fußnoten zu formulieren, damit sich nur keiner aufregt hinterher, damit jeder sagen kann, dass auch seine Position fein säuberlich bedacht wurde. Womit wir direkt bei diesen „Krisenliedern“ wären, denen eine Inbrunst und eine Kraft innewohnt, wie ich sie seit Jahren mehr oder minder vergeblich suche bei Liedermachern. Allein eine Durchsicht der Titel macht klar, woran wir hier sind: „Radikalisiert“, „Hanfkampflied“, „Blase aus Blödheit“. Mit seiner tiefen, wahrlich uniquen Stimme wirft sich der Kölner Liedermacher in eine fast durchgängige Tirade, beschimpft bundesdeutsche Gepflogenheiten, dass es eine Wonne ist – und nutzt sein Instrument nach guter alter punkiger d.i.y.-Methode eher ungehobelt als denn musisch. Sicher, ab und an klingt er gerade in seiner Intonation dabei wie jemand, der eine Terz zu ausgiebig in die Platten eines Wolf Biermann gehört hat, so brachial, so kompromisslos geht er zu Werke. Doch, mit Verlaub, geht es nicht gerade darum in der Liedermacherkunst? Ungestüm zu Werke zu gehen, sich ohne Wenn und Aber angreifbar zu machen? Wohlerzogene Muttersöhnchen aus gutem Hause sind eine nette Sache, so nett, dass die ganze Musikbranche inzwischen voll davon ist und auch im Chansonbereich die meisten jungen Vertreter offenbar alles dafür tun, um nur nicht unangenehm aufzufallen, ja sogar, seltsame Entwicklung, zunehmend in Konfirmandenoutfits antreten. Das ist schon okay, kann man machen, aber mit Verlaub: Muttersöhnchen in Konfirmandenoutfit bin ich schon selbst, das brauch ich nicht noch auf dem CD-Teller. Was ich brauche ist ein Liedermacher der aneckt, einer, der sich traut Dinge anzusprechen, die man auch rafft ohne vorher Platon oder Kant gelesen zu haben. Es braucht mutige Sänger, solche, die auch mal behände übers Ziel hinausschießen, sich vollkommen verrennen in ihrer Inbrunst – die aber gerade deswegen so herrlich kompromisslos an meinem Nerven-, Gedanken- und Konfirmanden-Kostüm rütteln. Ich will einen Liedermacher, dessen Konzert ich mir anhöre und der mich dabei so aufregt, positiv und negativ, dass ich hernach mit hochgeschobenen Hemdsärmeln direkt hinter die Bühne stapfe, um ihm mal zwei, drei Takte zu erzählen, seinen Kopf gerade zu rücken. DAS ist Liedermacher und DARUM liebe ich dieses Genre. Und gerate vollkommen aus dem Häuschen, wenn endlich (endlich!) mal wieder einer kommt, so wie Bastian Wadenpohl, und genau dieses tiefe Bedürfnis nach einem Ende der Gelacktheit bedient.
Das ist ne Schande, was hierzulande
mit dem armen, armen alten Hanf geschieht
Mal nur am Rande, ist das nicht krank, he?
Wenn ein Staat gegen `ne Pflanze in den Kampf zieht
Böse, bitterböse ist das Preußenreich, dafür ist es auf der ganzen Welt bekannt
Weil sein Antlitz halt dem eines Scheusals gleicht
oh du verheucheltes, hanfmeuchelndes Deutschland.
(aus: „Hanfkampflied“)
„Wer viel hinlangt, der langt auch schon mal daneben, und ich war ganz ehrlich, ganz sicher, ganz dumm und ganz jung“, singt Reinhard Mey in seinem Lied „Der Biker“. Gut möglich, dass das ab und an auch auf Bastian Wadenpohl zutrifft, der sich gar nicht erst die Mühe gibt wie einer zu klingen, der die Weisheit und Kultiviertheit mit Löffeln gefressen hat, der schon jetzt, mit seinen knapp 30 Lenzen, den Leuten fein ausbalanciert erzählen kann, was vermutlich richtig, was vermutlich falsch ist. Doch ist es nicht Aufgabe der Liedermacher, sich so ein bisschen einen Dreck um Konventionen und Feingefühl zu scheren? Miteinzukalkulieren, dass es nach dem Auftritt nicht Lob, sondern mitunter auch gepflegt eins auf die Nase gibt? Dass allenthalben jemand kommt, despektierlich die Nase rümpft und alsdann nasal daher säuselt, dass das jetzt aber ganz schlechter Stil sei? Im schlimmbesten Falle sogar, huch, unprofessionell?
Die „Krisenlieder“ von Bastian Wadenpohl sind heiß diskutiert worden von mir und diversen Genre-Journalisten, die Gegenstimmen sind laut, sehr laut sogar. Dass diese eigentümliche Platte dennoch rundherum zu empfehlen ist hängt auch just damit zusammen, verkörpert Bastian Wadenpohl bei aller Polarisierung doch eben jenen Typus Liedermacher, der inzwischen mit der Lupe gesucht werden muss. Der sich nicht bremsen lässt von diversen Limitierungen finanzieller, produktionstechnischer oder musikalischer Natur. Da er einen Drang in sich verspürt, einen Drang, Dinge unverschnörkelt auf den Tisch zu packen. Und der daher macht, einfach macht, aus jener Komfortzone ausbricht, in dem es sich das Gros der Musiker inzwischen gemütlich gemacht hat, denen das Prinzip „hauptsache die Leute mögen mich“ zum Leitmotto geworden ist.
Da kollabiern zwei Türme und in den Trümmern stirbt derZweifel
und aus den Ritzen schwelt seither die Angst
Und die Welt wie man sie kannte, wankt bedenklich wie ein Kreisel
Klar, dass du nach Sicherheit verlangst
Dann tausch sie dir doch ein, gegen die Reste uns`rer Rechte
und dann gehste mit auf Terroristenjagd
Und klebt dann zuviel Blut auf unsrer blütenweißen Weste
wird das Thema einfach einmal mehr vertagt
Und der Adler der wetzt derweil klammheimlich seine Klauen
und der messerscharfe Blick ist auch zurück
Jaja, der hat dich im Visier und der schickt dir sein Misstrauen
und das kriecht dir Stück für Stück in dein Genick
(aus: „Paranoid“)
Einigen Liedermacher-Journalisten ist Wadenpohl zu düster, zu pessimistisch. Dem kann ich mich nicht anschließen, höre ich doch gerade aus seinen Zeilen das Bekenntnis heraus eben nicht aufzugeben, nicht aufzustecken, endlich wieder aufzubegehren. Und so geraten diese „Krisenlieder“ für mich eben nicht zu ebensolchen, sondern stattdessen zu Mutmach- und Aufwachliedern. Wie ich diese Platte auch mit einigem Humor höre, fühle ich mich doch bestens unterhalten von Wadenpohls Hinlangerei, von seinen ab und an unflätigen Beleidigungen, dieser unsagbaren Stimme, dieser fast an Grönemeyer und Wecker erinnernden Kraft, die aus jedem Halbsatz quillt. Und seiner offensichtlichen Lust daran es auf Ärger mit mir und meinem so fein differenzierten Weltbild anzulegen. Es auf eine tiefere politische Diskussion, nötigenfalls aber gerne auch einen Faustkampf hinter der Sporthalle ankommen zu lassen. Sicher, eine weitere Platte in dieser Mach- und vor allem Erzählart (es ist bereits sein zweites Album) ist ihm nicht anzuraten, denn den Bonus des ungestümen Greenhorns trägt auch ein Wadenpohl nur einen Sommer lang. Stücke wie „Gegrübel“ oder „Für mich nicht“ zeigen jedoch bereits auf, dass er gar nicht vorhat in seinen „Krisenliedern“ zu verharren, mit dem Kopf längst einen Entwicklungsschritt weiter ist, nicht nur so wunderbar blindwütig attackieren, sondern auch streicheln und sorgsam reflektieren kann.
Jetzt bitte nur noch das zwar lustige und adäquate, aber etwas unehrlich wirkende Pseudonym „Tetzlaffs Tiraden“ ablegen – und schon ist der Gipfel der Authentizität erreicht.
Zwischen Politik und Wutausbruch – die “Krisenlieder”!
Weitere Meinungen von fachlich versierten Hinhörern:
“Hier wird blind mit der Schrotflinte ins Dunkle geballert – das ist politisch indiskutabel, ästhetisch aber absolut legitim. Freuen wir uns an der starken Handschrift, stoßen wir uns an den platten Binsenweisheiten, lassen wir uns von dieser Platte zum offenen Blick inspirieren!” (Matthias Binner, Musiker und Jury-Mitglied)
“Als Liedermacher kann ich Leute, die meine gesellschaftskritische Analyse nicht teilen, blöd finden, aber wird es sie überzeugen, wenn ich ihnen das direkt sage? Wäre das nicht nur leicht durchschaubare Taktik, um Gleichgesinnte zu agitieren? Will ich als Sänger meinen Applaus dafür, dass ich die “richtige” Weltanschauung formuliere? Ähnlich Biermann und Degenhardt erhält Bastian Wadenpohl meinen Beifall weniger für seine Weltanschauung (obwohl sie meiner in vielen Dingen verwandt ist), als für die Intensität seines Vortrags. Seine politische Aussteiger-Lyrik wirft Fragen auf, ist aber immer wieder so wortgewaltig und originell, dass ich mir diese gern stelle.Allerdings: Seine wahre Stärke sind für mich Lieder der Sorte “Kettenhund”, in denen die Abgründe unserer Gesellschaft nicht weggedichtet, aber von den Schönheiten des Lebens überstrahlt werden. Solange Menschen solche Lieder singen (ich hätte sie übrigens gern in einem Booklet mitgelesen!), gibt es auch Gründe, diese Welt zu retten” (Holger Saarmann, Musiker und Jury-Mitglied)
“Authentisch! Dieses Wort schoss mir beim gemeinsamen Hören einiger Songs der CD immer wieder durch den Kopf. Dabei kenne ich den Mann überhaupt nicht…!? Aber bei aller Authentizität: Ich fühlte mich oft so gar nicht angesprochen, gehe i c h doch mit einer gehörigen Portion Optimismus durchs Leben.” (Petra Schwarz, Journalistin, Moderatorin und Jury-Mitglied)
Reinhören in die “Krisenlieder” können Sie vorab auf der Website des Künstlers: www.tetzlaffstiraden.de