David Wonschewski | Schriftsteller

Kulturjournalist – Romancier – bipolarer Bedenkenträger

Misanthropische Platte: Wolfgang Voigt – Kafkatrax (2011)

Wer noch immer der Ansicht ist, dass sich Techno-Musik in erster Linie jenem ewigen Diktat aus Tanzbarkeit und stoisch-stupider Wirklichkeitsflucht unterzuordnen versucht, hat entweder tatsächlich die falschen Pillen geschmissen – oder aber schlichtweg nie richtig hingeschaut in die sphärischen Tiefen elektronischer Soundgewinnung. Denn jener Kunstansatz, betont leichtsinnig und lasziv mit einem Gefühl von Avantgarde umzugehen, der findet sich inzwischen fast nur noch gerade dort, in jenem breiten Niemandsland zwischen Minimal, House und den diversen, kaum noch zu beziffernden Unter- und Nebenströmungen.

Ja – und das will und muss an dieser Stelle einmal klar herausgearbeitet werden – Techno hat sich längst gesundgeschrumpft, ausgehend von den überdimensionalen, bis in die Pop-Charts reichenden Geschmackverirrungen globaler Massenveranstaltungen in den 90er Jahren hat sich die elektronische Szene mit Beginn des neuen Jahrtausends endlich wieder in jene verschwitzten Bastelstuben verzogen, in die sie gehört. Und aus denen heraus sie auch die erlesensten Früchte abwirft.

Dass sich dabei ausgerechnet deutsche Produktionen längst eine Ausnahme-Stellung erfrickelt haben ist in jüngerer Zeit auch das Verdient der Kölner Distributoren von Kompakt, deren Klangwerke vor allem durch ihren künstlerischen-innovativen Ansatz auffallen. Ein musikalisches Spannungsfeld, in dem auch der Allround-Künstler Wolfgang Voigt die faszinierendsten Kapriolen zu schlagen versteht, wie sein neuestes WerkKafkatrax dieser Tage unter Beweis stellt, auf dem er als subversiver Freigeist par excellence literarische Kafka-Zitate durch den minimalistischen Bass-Wolf dreht. Dass er als Mitbegründer der Minimal Techno-Szene in Deutschland gilt kommt Voigt dabei klanglich definitiv zu Gute – dass er sich aber ganz offensichtlich einen feuchten Kehricht darum kümmert, sich auf diesem kleinen Legendenpolster auszuruhen, sondern er sich stattdessen ganz offensichtlich dem ständigen Betreten von Neuland verschrieben hat, zeigt sich gerade auf diesem Album auf fast schon zwangsläufig klaustrophobe Weise. Zwar geben Künstler und Label zu Protokoll, dass es Voigt hier in erster Linie darum ging, Experimente mit Stimmfetzen im Umfeld klar strukturierter Basswände auszuführen – mit Kafka-Zitaten, die eher zufällig in sehr guter Klangqualität griffbereit waren, aber auch genauso gut von Thomas Mann oder den Gebrüdern Grimm hätten stammen können. Doch, ob nun gewollt oder nicht gewollt, ist es gerade ein tatsächlich kafkaesk beklemmendes Gefühl, welches die in mehreren Schichten übereinander gelagerten und von einem dumpfen Beat begleiteten Stimminstallationen zu einem fast schon absurd intensiven Erlebnis werden lassen. Die Tracks – postmodern lediglich als 1.0 oder 3.1 betitelt – entwickeln nicht zuletzt durch die berüchtigte Aura des Literaten Kafka ein Eigenleben, welches vielleicht wirklich als – wie von Kompakt vorgeschlagen – „vocal polka“ durchgehen könnte. Seine Bestimmung jedoch viel aufrichtiger und ehrlicher in einer Begrifflichkeit wie „legale Gehirnwäsche“ finden dürfte.

Der Beweis, den Wolfgang Voigt anhand von Kafkatrax erbringt, ist somit kein geringerer als der, dass es tatsächlich keine Pillen oder aufputschende Mittel braucht, um in mentale Grenzregionen vorzustoßen. Nachts am dunklen Fenster stehend und über Kopfhörer genossen verschaffen die Stücke einen weitaus größeren Kick als all die Dinge, die des Nächtens sonst noch so vollbracht werden könnten. – David Wonschewski –

2 Kommentare zu “Misanthropische Platte: Wolfgang Voigt – Kafkatrax (2011)

  1. davidwonschewski
    14. September 2012

    Also ist schon recht experimentell, aber mir gefällt es halb ab und an enorm, wenn man so gar nicht weiß, was nu als nächstes kommt;-)

  2. Call Me Appetite
    14. September 2012

    klingt spannend. muss ich mir wohl mal anhören. Gas mochte und mag ich ja sehr.

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Dieser Eintrag wurde veröffentlicht am 14. September 2012 von in Nachrichten und getaggt mit , , , , , , , , , .
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