Selbstredend dürfte schwerlich zu klären sein, ob Mundtot bedeutend mehr oder aber bedeutend weniger Einheiten ihres Debüts Spätsommer verkaufen würden, so sie dieses mit Aufklebern garnierten. „Thomas Bernhard würde Mundtot hören!“ könnte beispielsweise darauf stehen oder aber „Schopenhauer und 23.845 weiteren Existentialisten gefällt das!“ Wie dem auch sei: Spätsommergerät auch ohne werbewirksame Unterstützung von Literaten und Philosophen zu einem Festakt für Misanthropen und Nihilisten – und es ist schon nötig, heftig tief zu graben, um ein in diesem Bezug ähnlich treffsicheres Album aus deutschen Landen und in deutscher Sprache aus den Schächten der vermoderten Musikhistorie zu ziehen.
Bereits der Opener Endzeit erinnert dabei nicht nur klanglich, sondern auch thematisch an die Postpunk- und Industrial-Heroen von Killing Joke, die auf ihrem eigenen aktuellen Album XXMII im Grunde in die gleiche Kerbe hauen wie Mundtot nun. „Das ist die Endzeit, mach dich für das Ende bereit“ intoniert Sänger Tino Wagner hier – und gerät zumindest im Refrain damit tatsächlich zu einem Jaz Coleman-Soundalike. Mit Gitarren, die mehr wie ein Gewitter aus Maschinengewehren über uns kommen als denn als das Saiteninstrument, dass sie ursprünglich einmal waren, walzen Mundtot hier alles aus dem Weg, was versucht sich unser aller Ende entgegenzustellen. Dass die Band aus Süddeutschland ursprünglich als reines Elektro-Projekt startet ist wahrhaftig kaum noch zu erahnen, zu heftig und bedrohlich sind dazu die Macht und die Gewalt, die das Quartett in die Bearbeitung seiner klassischen Rockinstrumente legt. Kein Zurück und Felsenfest, wesentlich zurückgenommener und von breiten Synthie-Flächen unterwabert, lassen die Platte ein wenig zur Ruhe kommen – ohne dabei freilich in Gelassenheit zu erstarren. Zwei Songs, die im Gesamtkontext der Platte etwas unterzugehen drohen, jedoch aufzeigen, dass Mundtot ganz offenbar das Handwerk wirklich großer Bands verstehen, gerade im Midtempo- oder Slow-Bereich eindrücklich zu wirken, anstatt immer nur nach bewährtem Schema X alles nieder zu brüllen. Auch wenn Vergleiche zu eben Killing Joke oder auch Joy Division natürlich noch etwas früh und auch hochgegriffen sind, gerade in diesen beiden Stücken bedienen Mundtot fast perfekt die Sehnsucht wahrer Postpunk-Fans nach Anspannung und dräuender Gefahr, die gerade in entschleunigter Eintönigkeit ihre höchste Brillanz entfaltet. Lebensleid zeigt die Gruppe wieder von ihrer etwas brachialeren Seite und geht mittels sehr wirkungsvoller Zäsur direkt in Falscher Stolz über, einem Song, der mit seinem nackt-spartanischen Rhythmusgerüst den besten Beweis dafür liefert, warum Mundtot im Gegensatz zu so vielen anderen Bands aus dem Gothic-Bereich eben nicht in Albernheit und Kitsch abrutschen. Denn billige Effekte, wie zum Beispiel ausladende Piano-Zutaten oder sirenenhafte Frauenstimmen, nein, das sind nicht die Werkzeuge, die Mundtot auf Spätsommer hervorkramen, um auch nur den ein oder anderen düsteren Romantik-Fan abzugreifen. Kein Wunder, stilisieren sich Mundtot doch niemals als Teil eines märchenhaften Eigenbildes, sondern allenfalls als zerbrochene Gestalten der rauen Realität. Virus Mensch, die hitverdächtigste und am klarsten auf Masse und Single-Auskopplung gedrillte Komposition macht zwar kurzzeitig klar, dass Mundtot auch als schauerliche HIM- oder gar Oomph!-Epigonen hätten enden können, ist textlich jedoch so wunderbar misanthropisch angelegt, dass nicht einmal die Idee von Anbiederung aufkommen mag.
Ein großartiges, realistisches und damit quasi sogar formvollendetes Album für düstere Gesellen, die keine Lust mehr darauf haben, dauernd in die Eyeliner-Kitsch-Falle zu trampeln.